Glücksdorf - Beitrag mit vielen Autor/Inn/en
Der Megatrend heißt "Urbanisierung".
Die Menschen ziehen zur Ausbildung und zur Arbeit
in die Städte. Dort wird gebaut, gebaut, gebaut.
Die ländlichen Regionen werden ausgedünnt.
Sind die Ortskerne noch zu retten?
Die Steiermark darf kein "Hüttel-Dorf" werden!
Niemand will in "Bad Wildwuchs" daheim sein.
Noch nie war die Sehnsucht nach dem beschaulichen
Landleben so groß wie jetzt. Wo gibt es das "Glücksdorf"?
Wie gestaltet sich dort das Zusammenleben?
Fünf Autor/inn/en haben in einem gemeinsamen Aufsatz
jeweils aus ihrem Blickwinkel das "Glücksdorf" skizziert.
Vom Junggemeinderat aus der Oststeiermark bis zum
Bischof von Innsbruck, von der Trendforscherin über die
Biogärtnerin bis zum Immobilienentwickler spannt sich
der Bogen.
Die Spielregel: Jede/r kann den gemeinsamenText an
jeder beliebigen Stelle ergänzen, neue Gedanken einflechten
oder schon festgeschriebene Passagen wieder entfernen.
So entstanden dieses hier vorliegende Mosaik und die
erfreuliche Erkenntnis: Das Glücksdorf ist ganz nahe....
Claudia Brandstätter, Trendforscherin
Hermann Glettler, Bischof
Andreas Schneider, Junggemeinderat Siebenbrunn
Angelika Ertl, Biogärtnerin
Nik Lallitsch, Immobilienentwickler
Im Glücksdorf sind die Zäune nieder und die Haustüren offen.
Die Bewohner kennen und grüßen sich. Sie fragen: "Wie geht's?"
und warten die Antwort ab. Die Menschen interessieren sich
füreinander. Im Glücksdorf passen die Nachbarn aufeinander
auf und helfen sich gegenseitig, wenn's nottut. Damit haben sie
unbewusst den wichtigsten Glücks-Generator ganz natürlich in Betrieb.
Der Drang, einander Freude zu bereiten, ist spürbar und vertieft
die solidarische Verbundenheit der Menschen. Meist ganz einfach.
Im Glücksdorf ist das soziale Miteinander in und mit der Natur
einer der besonders wichtigen Faktoren. Ohne große Belehrungen.
Die Leute können sich im Dorf erholen. In einer fast schon merkwürdig
anmutenden Stille und in guten Gesprächen. Auch Konflikte werden benannt.
Es gibt keine "Umwelt", sondern definitiv eine Mitwelt, ein respektvolles
Miteinander mit Natur, Mutter Erde und Grün – eine Art aktive,
verbindliche Geschwisterlichkeit in der Sorge um das gemeinsame „Haus“.
Am Hauptplatz gibt es einen Dorfbrunnen, um den sich die Alten sammeln.
Dort besprechen und kommentieren sie das Weltgeschehen -
das naheliegende und das ferne. Das Zuhören kommt nicht zu kurz.
Die älteste Glücksdörflerin hat 19 Urenkerln, aber es gibt auch welche,
die dieses Glück nicht teilen können. Verbitterung und bösartiges
Getratsche gibt es im Dorf nicht. Es ist eine Freude, glückliche Paare
zu sehen. Sie haben für sich ein Rezept gefunden, dass ihre Beziehungen
nicht alt und fad werden. Brauchen ganz wenige Workshops dafür.
Im Glücksdorf leben die Leute nach dem Jahreslauf – in einem natürlichen
Rhythmus, geprägt von fixen Bräuchen und Festen, kulturell und religiös.
Die Frauen kennen die Lostage und geben sie an die Jungen weiter.
Am 6. Dezember geht der Nikolaus von Haus zu Haus – und hat kleine
Gaben für alle Kinder, ganz egal zu welcher Religion sie gehören.
Zu Stefani wird ausgeritten und zu Mariä Geburt fliegen die Schwalben furt.
Der Maibaum kommt aus dem Wald der Vizebürgermeisterin.
Dieser wird durch reine Menschenkraft händisch aufgestellt.
Die Jugendlichen tanzen darunter den traditionellen Bändertanz.
Im Glücksdorf gibt es ganz regionale Landwirtschaft. Auch mitten im Dorf.
Das Essen wächst auch am Hauptplatz – ein Community-Gardening bringt
die Leute zusammen. Ein Paradies, ein Naschgarten für alle!
Die Kinder können sich die Ribiseln runterbrocken am Weg zur Schule.
Oma und Opa gehen mit dem Schälchen aus dem Haus und nehmen sich Himbeeren
und Erdbeeren fürs Müsli. An den Mauern Ranken die Kiwis rauf, Marillen, Ribisel,
Erdbeeren hängen von den Balkonen. Kürbisse und Kräuter säumen den Weg.
Im Glücksdorf riecht es nach dem Kirchenwirt-Menü, nach Heu,
Regen und manchmal nach Stallmist. Im Glücksdorf schlägt die
Kirchenuhr, aber sie kennt weder Sommer- noch Winterzeit. Das Geläut
am Sonntag ist nicht nur Dekor. Der Gottesdienst ist für viele eine
Erfrischung und Auftankstelle für neue Herzensenergie. Auch hat
sich herumgesprochen, dass die Dankbarkeit ein wunderbarer Weg ist,
um mit größerer Zufriedenheit zu leben und Gott in allem zu entdecken.
Der Dorfplatz ist autofrei. In das einzige freie Geschäftslokal
zieht eine Änderungsschneiderei ein. Im Glücksdorf hat sich
gerade eine coole Werbeagentur angesiedelt, das Architekturbüro
nennt sich "future-sisters" und der örtliche Web-Designer heißt
"digital.pro". Das "Startup-Center" bietet ideale Voraussetzungen
für Jungunternehmer/innen-Karrieren. Der Tischlereibetrieb ist
schon in fünfter Generation in Familienbesitz.
Das Glücksdorf bekommt bald leistungsfähigere 5 G Technologie.
Aber noch wichtiger als das technische Kommunizieren
ist das Miteinander-Reden im Dorf. Das steckt an.
Der Ort ist ein Seriensieger bei den Blumenschmuck-Wettbewerben,
aber seine wahre Schönheit liegt im Urtümlichen. Man hat sich bewusst
entschlossen, nicht jeden Flecken zu gestalten, einiges darf einfach sein.
Es gibt auf jeden Fall einige Gärtner im Dorf, die großes Gärtnerwissen haben.
Wo es geht werden wild Blumenwiesen angelegt und Gemüse.
Diese stellen quasi den neuen Lebensmittelmarkt dar.
Humusaufbau, lebendige Erde, kein Kunstdünger wird verwendet.
Im Glücksdorf gibt es auch Wintersalate. Frisches Grün das ganze
Jahr über, um die Vitalität des Geistes und des Körpers mit gesunden
Lebensmittel zu unterstützen.
Im Glücksdorf kosten die Grundstücke ein Viertel von den Hauptstadtpreisen.
Die Bauverfahren dauern keine zehn Wochen. Die Materialien stammen
aus der Region, die Handwerker sind von nah.
Dort wo man Häuser baut, gibt es begrünte Flachdächer.
Man gibt also Mutter Natur einen Teil der Grünfläche wieder zurück.
Die Mieten sind für Normalverdienende leistbar und für jene,
die in Krisen sind, gibt es kostengünstige Wohnräume.
Spekulation mit Wohnraum und Wucherzins sind nicht bekannt.
Im Glücksdorf heißt der Bürgermeister "Hannes", ganz freundschaftlich,
ohne sein Amt damit gering zu schätzen. Seine politische Farbe ist unwichtig.
Im Gemeinderat haben die Frauen beinahe eine
Zwei-Drittel-Mehrheit. Manchmal wird während der Sitzungen
gestritten, aber hinterher hocken sich alle wieder zusammen
und reden sich aus. Niemand möchte "Opposition" sein, weil alle für
und nicht gegen etwas sind. Die besten Ideen werden realisiert.
Im Glücksdorf legt man Wert auf die Meinung der Jugendlichen,
sie dürfen im Jugendgemeinderat selbst kundtun, was sie sich
für ihren Ort wünschen. Man gibt ihnen die Chance, für einzelne
Projekte Verantwortung zu übernehmen. Niemand wird wegen
einer mangelnden Begabung oder Behinderung auf die
Verliererstraße gedrängt. Erstaunliche Leistungen junger Menschen
machen das Glücksdorf zu einem Ort von Innovation und
Zukunftsfitness. Auch Kinder reden mit. Sie sind die besten
Ingenieure und Designer einer liebevollen Gesellschaft.
Das Glücksdorf hat fünf Partnergemeinden.
In jedem Kontinent eine. Mit einer bosnischen Ortschaft
gibt es regelmäßig Senioren-Austausch-Wochen.
Das hat eine Flüchtlingsfamilie nach dem Balkankrieg initiiert.
In Afrika hat sich ein Dorf in Burkina Faso angeboten, weil
einige dorthin schon jahrelang Kontakte pflegten. So ist ein
Lernen über den Tellerrand des Ortes und des Landes hinaus für
alle bereichernd. Zugezogene werden rasch aufgenommen, weil
im Glücksdorf Gastfreundschaft groß geschrieben wird. Manche der
Neuankömmlinge haben das anstrengende Berufsleben schon
hinter sich gebracht und wollen aus dem Hamsterrad der Großstadt
den Rücken zuwenden, manche Jungfamilie will ihren Kindern eine
möglichst unbeschwerte, sichere Zukunft bieten.
Im Glücksdorf basteln die Kinder Vogelhäuser und Nisthilfen
für die Florfliege, für Hummeln, für die Wildbienen.
Der Bezug zur Natur ist ganz groß geschrieben und der
Waldkindergarten ist in der Nähe des Glücksdorfs ein wichtiges
Element für den Schritt in die Zukunft.
Meistens spielen die Kinder im Freien. Barfuss, in der frischen Luft.
Der ortsnahe Wald bietet ihnen ein unendlich großes Abenteuerland.
Der öffentliche Spielplatz hat Geräte, die auch für Oma und Opa
benützbar sind. Mit der Schaukel kommt man hoch hinaus.
Im Glücksdorf gibt es Krabbelstube, Kindergarten,
Volksschule und Mittelschule. Diese sind alle schnell über sichere
Rad- und Fußwege zu erreichen. Die Lehrerin hatte bereits die Eltern
in der Schule und kennt die ganze Familie.
Im Glücksdorf haben die Schulen White Boards und Laptopklassen.
Der Leihoma-Verleih floriert.
Im Glücksdorf fahren manche noch mit schwarzer Nummerntafel,
das Radl ist aber ein Fortbewegungsmittel für alle Generationen.
Das E-Bike ist groß im Kommen, denn es geht ja oft bergauf.
Im Glücksdorf hat man schon vor Jahren das car-sharing eingeführt.
Im Glücksdorf gibt's keine Plastiksackerln mehr. Es gibt einige
Ordinationen, dabei sind immer alle Leute g'sund.
Seit einiger Zeit gibt es wieder mehr Geburten als Todesfälle.
Es steht vitales und frisches Essen zur Verfügung. Kaum Transportwege.
Sehr oft geht man einfach nur raus um sich eine Ration frische Kräuter
und damit auch frische Medizin zu holen. Im Herbst werden miteinander
die Kartoffeln ausgegraben. Alle freuen sich, dass sie gesundes vitales
Gemüse zur Verfügung haben. Aber noch wichtiger ist im Glücksdorf
die Freude, miteinander Zeit zu verbringen. Nicht jede Minute ist
verbucht, die Einfach-so-Besuche haben immer Saison.
Im Glücksdorf gibt es einen wöchentlichen Bauernmarkt,
wo man ganz die besten Lebensmittel ganz frisch bekommt. "Ab Hof"
steht hoch im Kurs. Dort kaufen auch die Gasthäuser ein, denn sie
servieren ehrliche Qualität aus der Umgebung.
Regionales und saisonales Gemüse hat Vorrang. Und es gibt jede Woche
einen Tag, wo alle aus dem Glücksdorf in der Gemüsegärtnerei mithelfen.
Um sich Wissen anzueignen und um der Gemeinschaft Willen.
Mit dem Autobus und mit der Bahn kommt man ganz bequem
vom Glücksdorf in die Stadt und mit der "Shopping-Beute" wieder
pünktlich nach Hause zurück. Den Takt der öffentlichen Verkehrsmittel
hat man deutlich verdichtet.
Im Glücksdorf hat der Pfarrer mehr "likes" auf facebook als der
Tormann vom Oberligaklub.
Der Fußballverein hat übrigens in jeder Altersklasse
eine konkurrenzfähige Elf, nur die sogenannte
Kampfmannschaft gilt als Tabellennachzügler. Aber in der
dritten Halbzeit, die meistens in der Kantine ausgetragen wird,
läuft sie zur Hochform auf. Das kleine Waldstadion nennen
sie jetzt schon “Ivica-Osim-Platz”. Im Glücksdorf gibt es auch
sonst recht viele Vereine und jede/r ist irgendwo aktiv. Das
Ehrenamt gibt Sinn und macht vieles erst richtig möglich.
Und auch die Leute, die in die Kirche gehen, erkennt man
an ihrem Blick, ihrer Sorge für jene, die in Not sind.
An Gott zu glauben, ist niemandem peinlich.
Die meisten haben gecheckt, dass es für das Glück eine Quelle braucht.
Immer sprudelnd. Nachbarschaft ist so wie so ganz groß geschrieben.
Alle wissen, dass niemand allein glücklich sein kann.
Im Glücksdorf dürfen die Jugendlichen bestimmte
Betonwände mit Graffitis verzieren.
Der alte Bauhof wurde zu einem Kreativ-Zentrum umfunktioniert,
wo es Künstler-Ateliers und Proberäume gibt. Ausstellungen und
Aufführungen sind legendär. Da kommen die Leute von überall her.
Der Saxophon-Spieler der Jazz-Band stammt aus Nigeria.
Alle nennen ihn "Seppl", dabei heißt er "Josephus".
Es gibt aber auch eine Musikschule und eine Trachtenkapelle.
Neben dem Laientheaterklub ist man stolz darauf bekannte
Musiker und Kabarettisten zu Gast zu haben.
Überhaupt gibt es im Glücksdorf ein tolles Freizeitangebot.
Neben Wanderstrecken für Anfänger und Fortgeschrittene in
malerischer Landschaft, laden vor allem der Eislauf- und der
Tennisplatz und die vielen Grünflächen zu sportlichen Betätigung ein.
Ganz wichtig ist auch frisches Quellwasser, weil es im Glücksdorf
jeden Tag zur Verfügung ist.
Im Glücksdorf kann man das Wasser bedenkenlos aus
dem Bach und aus dem Schwimmteich trinken. An den heißen
Sommertagen ist es im Glücksdorf um drei Grade kühler als
in der Stadt. Die meisten Haushalte heizen mit Pellets,
Holzschnitzel und Solar. Man legt Wert auf Nachhaltigkeit und
möchte eine intakte Umwelt hinterlassen. Die Kinder lernen von klein
auf richtig Müll zu trennen und respektvoll mit der Natur umzugehen.
Im Glücksdorf gibt es Hund und Katz und viele scheinbar unnötige Tiere.
Die Haustiere haben ein besonders schönes Leben.
Manchmal wird man vom Hahn geweckt.
Im Glücksdorf haben die Kühe hübsche Namen.
In der Dämmerung gibt es herzhafte Froschkonzerte.
Das Storchennest wird Jahr für Jahr pünktlich bezogen.
Das Glücksdorf ist vollkommen Honig-autark.
Die Bienen gelten als besonders fleißig.
Sie lieben die blühenden Wiesen.
Vom Hügel im Glücksdorf sieht man das Lichtermeer der Stadt,
tausende Sterne und manchmal auch Sternschnuppen.
Da alles mit allem zusammenhängt, werden wir zukünftig von einer
Glückswelt reden und nicht nur von einem Glücksdorf. Die Verbundenheit
mit allen Dörfern der Welt ist die größte Freude.
Das Glücksdorf wird funktionieren, wenn wir nicht die Freude
an unseren echten Dörfern verlieren, wo´s noch a bisserl fehlt.
Wirkliche „Glücksdörfler“ sind keine unzufriedenen Utopisten,
sondern dankbare Träumer und Anpacker zugleich. Los geht´s!
Das Glücksdorf ist nicht weit.