Franz Schellhorn, Direktor des Thinktanks Agenda Austria
Pensionsschock

Agenda-Austria-Direktor Franz Schellhorn warnt: Die bevorstehende Pensionierungswelle kann für die Wirtschaft weitreichende Folgen haben.

Die Personaldecke wird immer dünner

Franz Schellhorn, Direktor des Thinktanks Agenda Austria, warnt: Die Folgen der bevorstehenden Pensionierung geburtenstarker Jahrgänge könnten dramatische Folgen für Unternehmen und Wirtschaft haben.

business: Vor Corona schien uns die Arbeit auszugehen: Es wurden Modelle wie Bedingungsloses Grundeinkommen diskutiert und Massenarbeitslosigkeit prophezeit. Jetzt fehlen an allen Ecken und Enden die Fachkräfte – obwohl wir gerade in eine Flaute taumeln. Wo sind all die Arbeitskräfte hingekommen?

Franz Schellhorn: Um AMS-Chef Johannes Kopf zu zitieren: Sie arbeiten. Tatsächlich arbeiten so viele Menschen wie noch nie in Österreich. Nur arbeiten sie in Summe weniger Stunden. Alle Arbeitnehmer des Landes zusammengenommen arbeiten weniger Stunden als vor Corona. Viele, die vor der Krise noch viel Zeit in die Arbeit investierten, haben in den Lockdowns Homeoffice und Kurzarbeit schätzen gelernt. Sie sind nie wieder zur Vollzeitarbeit zurückgekehrt. Das spüren wir jetzt immer stärker auf dem Arbeitsmarkt. Hinzu kommt der demografische Wandel. Viele Babyboomer gehen in den kommenden Jahren in Pension. Die Personaldecke wird jedes Jahr etwas dünner. Dass uns die Arbeit ausgeht, wurde übrigens schon oft prognostiziert, aber passiert ist es nie.

business: Der Fachkräftemangel scheint uns länger zu begleiten. Hat es die sonst so planungsverliebte Wirtschaft überrascht, dass Babyboomer und Generation X jetzt in Pension gehen?

Schellhorn: Verschlafen hat das vor allem einmal die Politik. Etwa über eine Anhebung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters. Oder durch gezielte Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte – seit Jahren erleben wir ja das genaue Gegenteil davon. Es wandern vorwiegend schlechter qualifizierte Menschen zu. Darauf wird aber auch im Bildungsbereich nicht entsprechend reagiert. Die Kinder von Migranten werden einfach in bestehende Klassen gesetzt. Und zu guter Letzt wurde in die Steigerung der Arbeitsproduktivität zu wenig investiert. Das Geld geht vermehrt in andere Teile der Welt. Und wir haben uns in Österreich immer davor gefürchtet, dass uns die Roboter die Arbeit wegnehmen.

business: Die Politik diskutiert, den Fachkräftemangel durch ein höheres Pensionsalter abzumildern oder zumindest Anreize für Pensionsantrittsberechtigte zu setzen, länger im Job zu bleiben. Ein taugliches Mittel, um die Personalnot der Unternehmen zu lindern?

Schellhorn: Das kann auf jeden Fall einen wichtigen Beitrag leisten. Etwa, indem man Menschen über 65, die weiterarbeiten wollen, nicht auch noch Pensionsbeiträge zahlen lässt. Das gehört gestrichen, womit das Arbeiten im Alter deutlich lukrativer werden würde. Eine Reform des Pensionssystems ist aber aus anderen Gründen unumgänglich: Bis 2027 müssen 160 Milliarden Euro in das Pensionssystem zugeschossen werden. Hinzu kommt, dass immer weniger Erwerbstätige immer mehr Pensionisten finanzieren müssen. Bis 2030 kommen nur noch 1,49 Erwerbstätige auf einen Pensionisten. Um dieses Ungleichgewicht zu beheben, muss das Antrittsalter erhöht werden, sonst steuern wir auf ein finanzielles Desaster zu.

business: Gegner der Erhöhung des Pensionsalters argumentieren, dass ältere Arbeitnehmer schon jetzt nicht mit Digitalisierung und KI klar kämen und Fortschritt bremsen. Deswegen würden internationale Konzerne nach wie vor Altersgrenzen vorschreiben. Ein berechtigter Einwand?

Schellhorn: Nein. Solche Altersgrenzen gibt es vielleicht auf ein paar hohen Managementpositionen oder bei der Berufsfeuerwehr. Viele Unternehmen wären aber froh, wenn sich ihre erfahrenen Mitarbeiter noch ein paar Jahre länger einbringen würden. Das Problem ist das für Österreich sehr typische Senioritätsprinzip in der Entlohnung. Auch wenn im Alter die Produktivität nachlässt, verdienen die älteren Kollegen immer noch deutlich mehr als die jüngeren. Daher ist es auch für die Unternehmen oft nicht attraktiv, Ältere weiterzubeschäftigen. Selbst dann nicht, wenn gar kein jüngerer Kollege als Ersatz bereitsteht. Hier könnte man Abhilfe schaffen, wenn man Älteren bei den Pensionsversicherungsbeiträgen entgegenkommt, wenn sie weiterarbeiten wollen.

Franz Schellhorn

business: Welche anderen Möglichkeiten gäbe es, für genügend neue und qualifizierte Arbeitskräfte zu sorgen?

Schellhorn: Viel Luft nach oben gibt es noch bei der Frauenerwerbsbeteiligung; besonders, wenn wir von Vollzeitbeschäftigung sprechen. Grundvoraussetzung dafür ist aber nicht nur eine leistungsfähige Kinderbetreuung, sondern auch ein leistungsfreundliches Steuersystem. Derzeit zahlt sich das Aufstocken von Stunden in Österreich kaum aus, da liegen nur noch Spanien und Belgien schlechter. Das österreichische Steuersystem bevorzugt Teilzeit und bestraft Vollzeit. Das muss sich ändern. Gezielte Zuwanderung wäre ein weiterer Weg, aber das ist natürlich nicht so einfach. Und dann gibt es natürlich auch noch einsatzfähige Arbeitslose – und die Frage, wie wir die Arbeitsproduktivität schneller in die Höhe bringen.

business: Gibt es vorbildliche Modelle aus anderen Staaten?

Schellhorn: In Schweden und Dänemark arbeiten rund 75 Prozent der 55- bis 64-Jährigen, in Österreich sind es knapp 50 Prozent. Dabei gibt es auch im hohen Norden Schwerarbeiter und auch dort operiert die Müllabfuhr im Freien. Die Dänen haben das „Flexicurity“-Modell, das Arbeitslosen starke Anreize bietet, sich schnell einen neuen Job zu suchen, sie dabei aber auch unterstützt. Abgesehen davon lohnt sich Mehrarbeit auch in diesen beiden Ländern deutlich mehr.

business: Funktioniert die Idee, qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland zu holen? Ganz Europa leidet unter Fachkräftemangel.

Schellhorn: Ja, das stimmt. Aber es gibt andere Kontinente, deren Bevölkerung rasant wächst. Das Problem ist nur: Unser Standort ist für viele Zuwanderer nicht attraktiv genug. Eines der größten Probleme ist ja, dass Österreich im internationalen Vergleich eine überdurchschnittlich hohe Steuer- und Abgabenlast aufweist. Das ist für Zuwanderer, die ihren Lebensstandard erhöhen wollen, nicht besonders reizvoll. In dieser Hinsicht muss die Politik Veränderungen vornehmen.

business: Sind die bürokratischen Hemmnisse für zuzugswillige Arbeitnehmer aus dem Ausland zu hoch?

Schellhorn: Mit der Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte ist um vieles besser geworden. Doch das allein ist es nicht. Die mühsame Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen ist weiterhin ein Hemmschuh. Dazu kommt die rigide Gewerbeordnung. Man muss sich entscheiden, ob man für Talente von außerhalb attraktiv werden will, oder ob man nur die Privilegien der Alteingesessenen verteidigen will. Österreich scheint sich allerdings schon entschieden zu haben.

business: Kann KI wie ChatGPT oder der Einsatz von Robotern den Fachkräftemangel beheben?

Schellhorn: Digitalisierung und Automatisierung können sicher dazu beitragen, den Fachkräftemangel zu mildern, aber das gilt nicht für jeden Bereich, und nicht überall sind technische Lösungen bereits ausgereift genug. Man darf nicht naiv sein: Natürlich müssen wir die neuen Technologien endlich stärker einsetzen, um produktiver zu werden. Aber darauf hoffen, dass der technische Fortschritt kurzfristig und wie von Zauberhand unsere Probleme am Arbeitsmarkt löst, können wir nicht. Das bedeutet, wir kommen nicht umhin, mehr Menschen zur Vollzeitarbeit zu bringen und das Pensionsantrittsalter anzupassen.

business: Wie könnte man Teilzeitkräfte zu Mehrarbeit motivieren?

Schellhorn: Zuallererst müssen wir aufhören, Teilzeitarbeit gegenüber Vollzeitarbeit steuerlich zu privilegieren. Personen, die ihre Arbeitszeit hierzulande um 50 Prozent erhöhen, haben netto gerade einmal 32 Prozent mehr zur Verfügung. In Dänemark sind es 44 Prozent. Wir müssen vor allem aufpassen, dass nicht immer mehr Menschen von der Vollzeit in die Teilzeit wechseln. Das ist der große Trend.

business: Was passiert, wenn wir den Fachkräftemangel nicht beheben? Wie viel Wohlstand geht dadurch verloren?

Schellhorn: In Österreich ist der Fachkräftemangel nicht mehr auf bestimmte Branchen beschränkt, sondern betrifft mittlerweile alle Wirtschaftssektoren. Es muss also viel mehr von einem Arbeitskräftemangel gesprochen werden. Besonders besorgniserregend ist dieser Mangel in den folgenden Bereichen: Gesundheitswesen, Gastronomie, technische Berufe (z. B. Elektroinstallateure) und IT-Experten. Die Konsequenzen, die eintreten, wenn Österreich den Arbeitskräftemangel nicht erfolgreich bewältigt, sind vielfältig: Dies führt zu zusätzlichen Kosten und einem höheren Aufwand bei der Mitarbeiterrekrutierung, erhöht die Arbeitsbelastung der derzeitigen Beschäftigten, zwingt Unternehmen dazu, ihre Produktion zurückzufahren, führt zu Umsatzeinbußen, Auftragsverlusten, eingeschränkter Innovationsfähigkeit und letztlich zu einer geringeren Wettbewerbsfähigkeit. Das gilt es zu verhindern. ••

Interview: Stefan Schatz