Genossenschaften - Sharing Economy seit 200 Jahren

Dass es heute europaweit mehr als 300.000 Genossenschaften mit rund 140 Millionen Mitgliedern gibt, ist mit reiner Nostalgie nicht erklärbar. Auch wenn das Image der Genossenschaft in der Vergangenheit leicht verstaubt anmutete, die Idee passt auch ins dritte Jahrtausend.

Nachhaltiges Wirtschaften, Regionalität und kooperative Gesellschaftsformen erleben eine Renaissance. In einer zunehmend komplexen, von Technologien und Globalisierung getriebenen Umgebung können sie Sicherheit und Identität geben. Selbst in der digitalen Welt finden sich viele klassische Gedanken von Genossenschaften wieder - Menschen zu vernetzen, Ideen zu teilen und Bedürfnisse zu erkennen. Sharing Economy ist heute in aller Munde. 

Vom Start-up bis zum Dorfgasthaus: Genossenschaften können Antwort auf zentrale Fragen und Themen der Gegenwart wie leistbares Wohnen, Mobilität und Energieversorgung geben. An Beispielen mangelt es nicht: In Energiegenossenschaften schließen sich Nachbargemeinden zusammen, um Solaranlagen in der Region zu etablieren oder ein gemeinsames Carsharing-Netzwerk anzubieten.

Hilfe zur Selbsthilfe. Auch für Einzelunternehmer oder junge Start-ups kann eine Genossenschaft ein vitales Netzwerk bieten, das Aufträge koordiniert und im Verbund soziale Absicherung bietet. Auch dort, wo Abwanderung oder Bevölkerungsrückgang das Aufrechterhalten vertrauter Strukturen immer schwieriger werden lassen, kann genossenschaftliche Organisation Hilfe zur Selbsthilfe geben. Nahversorgung, Dorfgasthäuser, Wohnen im Alter, Kinderbetreuung und Pflege sind nur einige Beispiele.

Die Frage, ob Genossenschaften auch in der Finanzwelt noch zeitgemäß sind, haben die Bewältigung der Finanzkrise ab 2007/2008 und die Corona-Pandemie ab 2020 eindeutig beantwortet. In dieser Zeit wurden die Stärke und der Rückhalt der Raffeisenbanken für die Regionen deutlich vor Augen geführt. Wie Regionalbanken die Wirtschaft in dieser schwierigen Phase unterstützt haben, bestätigt den Weg, Unternehmen mit Kundenorientierung sowie nachhaltigen Finanzierung zu begleiten, um langfristig gemeinsam erfolgreich zu sein.

Modern, aber auch herausfordernd. Die Genossenschaft als Rechtsform bietet sich in vielen Bereichen an. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine betriebswirtschaftlich effiziente Geschäftsführung notwendig ist. Besonders die aktive Mitbestimmung im Unternehmen, die Verteilung der Lasten auf viele Schultern und die soziale Verantwortung beim Wirtschaften machen das Genossenschaftsmodell modern, gleichzeitig jedoch auch herausfordernd. 

Hinzu kommt, dass Möglichkeiten der Kapitalbeschaffung weniger dynamisch ausfallen. Dafür ist das Modell stabil. Die Prüfung und Beratung durch die Prüfungsverbände leisten einen entscheidenden Beitrag dazu.

Eine Konzerngenossenschaft und eine Kleinstgenossenschaft für einen Dorfladen sind nicht vergleichbar. Im Laufe der Geschichte haben sich vier Ausprägungen herauskristallisiert: marktnahe Genossenschaften wie Raiffeisenbanken, Selbsthilfegenossenschaften wie man sie in der Landwirtschaft findet, sozialpolitische Genossenschaften etwa zur Führung eines Dorfladens und öffentliche Zweckgenossenschaften wie gemeinsame Abfallentsorgung oder Energieversorgung.

Die Unternehmen haben nicht nur betriebswirtschaftliche Aspekte im Auge, sondern verfolgen auch auf das Gemeinwohl ausgerichtete Ziele. Das nennt man heute Corporate Social Responsibility. 

Genossenschaften sind trotz Nostalgie-Image eine Bereicherung im Angebot der Rechtsformen von Gesellschaften. Es ist sinnvoll, sie dort einzusetzen, wo ihre Stärken zur Geltung kommen.

Quelle: TREND Ausgabe 30/2018, Kommentar von RLB OÖ-Generaldirektor Dr. Heinrich Schaller