Mit Musterbrüchen raus aus der Laberfalle

Stefan Kaduk war Speaker beim Business Summit 2022 an der Fachhochschule Vorarlberg

Stefan Kaduk nimmt den Begriff „Plastikwort“ und dessen Gebrauch in der Unternehmenssprache unter die Lupe, „Alltagsdietriche“, die gefahrlos in jeder Situation geäußert werden und niemals falsch sein können. Wie Musterbrecher diese zum Leben erwecken und Musterbrüche in jedem Unternehmen wie auch privat mehr denn je angesagt sind lesen Sie im Interview.

Sie haben den Begriff „Plastikwort“ geprägt. Was meinen Sie damit?

Werfen Sie einfach einen Blick in die unvermeidbaren Leitbilder. Letztlich ist die gesamte Unternehmenssprache eine Fundgrube für Plastikwörter. Sie sind nie falsch, in ihrer Bedeutung extrem formbar und in diesem Sinne plastisch. Man kann sie als »Alltagsdietriche« bezeichnen, weil sie inhaltlich der Schlüssel zu allem und daher mehrheitsfähig sind. Zugleich sind sie seltsam leer. Wenn man es geschickt macht, ist es völlig ohne Risiko, ein Plastikwort an das nächste zu reihen. Im Gegenteil: Der Einsatz von Plastikwörtern ist prestigefördernd, solange man es nicht übertreibt. Das liegt auch daran, dass sie häufig aus der Welt der Wissenschaft stammen. Interessant ist, dass immer ein subtiler Imperativ mitschwingt. Plastikwörter sind eben mehr als Worthülsen. Der Klassiker: »Wir müssen in der Kommunikation besser werden!« Ich kenne auch niemanden, der sagen würde, dass Wertschätzung völlig überschätzt wird. Für dieses billige Wortspiel müsste ich mich eigentlich jetzt entschuldigen.

 

Wie kamen Sie auf den Begriff „Plastik“-Wort?

Das ist ein genialer Begriff, oder? Leider habe ich ihn nicht erfunden. Der Freiburger Sprachwissenschaftler Uwe Pörksen hat sich in den 1980er-Jahren in seinem Buch „Plastikwort“ mit dieser Wortgattung befasst. Unser aktuelles Musterbruch-Buch „Sprechblasen der Organisationskultur“ ist auch eine kleine Hommage an Pörksen. Ich bin zwar Wirtschaftswissenschaftler, finde es aber hochinteressant zu beobachten, wie in Organisationen geschrieben und gesprochen wird. Vieles wird glatter und, wenn man es pathetisch formulieren möchte, irgendwie auch seelenloser. Zugleich klingt alles bis in die Spitzen professionell und effizient. Ich frage mich, ob man vor 20 Jahren nach einer Besprechung gesagt hätte: „Wir müssen nochmals bilateral kommunizieren.“ Vermutlich nicht. Eher hätte man sich zu einem Gespräch unter vier Augen verabredet.

 

Nennen Sie uns Ihr liebstes Plastikwort?

Ganz klar: Authentizität! Das ist mein Lieblingsaufreger. Damit habe ich mich vor einiger Zeit im Führungskontext wissenschaftlich beschäftigt. In der Managementwelt ist die Botschaft jedenfalls angekommen, denn Mitarbeitende wundern sich schon gar nicht mehr über eine Bilderstrecke im Unternehmensblog, die den CEO in Badehose an einem einsam gelegenen Bergsee zeigt. Das Signal ist klar, denn es soll der wahrhaftige Mensch jenseits der professionellen Rolle zum Vorschein kommen. Das Problem: Es lässt sich schlicht nicht entscheiden, wer oder was authentisch ist. Wie wird wohl das Verhalten einer Vorständin beurteilt, die nun plötzlich von allen geduzt werden möchte und bei der Bilanzpressekonferenz weiße Sneakers trägt? Wird ihr abgenommen, dass sie nun ihr unverstelltes Ich zum Tragen bringt – oder wird eine Inszenierung vermutet?

 

Sind es die von Ihnen beschriebenen Musterbrecher, die uns von Plastikworten befreien?

Niemand kommt ohne Plastikwörter aus oder kann eine neue Sprache erfinden. Wir müssen beispielsweise „Vertrauen“ sagen, wenn wir es zum Thema machen wollen. Entscheidend ist, dass man hinter die Bühne blickt und eine Art „Begriffsarbeit“ betreibt – und dafür nehmen sich Musterbrecher Zeit. Damit habe ich keine philosophische Übung für Führungskräfte im Sinn, sondern meine einen wirklichen Dialog darüber, welche Facetten ein Begriff enthält. Die offene Tür des Vorstandsvorsitzenden als Teil der New-Work-Initiative #Transparenz2025 (das ist ein fiktives Beispiel!) wird von den einen als Offenheit wertgeschätzt und von den anderen als Machtdemonstration mit anderen Mitteln interpretiert.

 

Ist Musterbrecher-Sein unbequem?

Manche Musterbrecher werden bewundert, auch in ihrer Leichtigkeit, andere gelten eher als respektierte Nervensägen. Aber alle Musterbrecher, die wir in unseren Büchern und im Dokumentarfilm analysiert haben, stoßen auf Widerstände. Das ist auch keine Überraschung, weil Organisationen in ihrer Grundlogik gerade nicht auf Veränderung ausgelegt sind, sondern auf Wiederholbarkeit, Berechenbarkeit und Reproduzierbarkeit. Musterbrecherinnen und Musterbrecher schaffen es nun, einerseits diese klassische Organisationslogik zu erfüllen, andererseits radikal mit neuen Ansätzen zu experimentieren. Das ist eine paradoxe Angelegenheit, weil sich beide Seiten ebenso bedingen wie ausschließen. Flapsig gesagt: Wer liefert und Audits besteht, kann sich viele Extravaganzen leisten. Wir haben festgestellt, dass Musterbrecherinnen exzellent darin sind, Regeln maximal kreativ zu interpretieren. Das ist viel klüger als die Forderung „Break all the rules“, die derzeit inflationär erhoben wird.

 

Sie beraten Unternehmen. Würden Sie sagen, Musterbrecher tun großen wie kleinen Unternehmen gut?

Auf jeden Fall. Und zwar deshalb, weil das Experimentieren mit neuen Formen der Führung und der Gestaltung von Organisationen ein probates Mittel ist, mit Ungewissheit umzugehen. Wir haben es nämlich nicht mehr nur mit Risiken oder Unsicherheit zu tun. Denken wir nur an die Pandemie, die uns seit 2020 beschäftigt. Das ist eine hochgradig ungewisse Angelegenheit, weil wir jenseits der medinischen Herausforderungen die Nebenwirkungen auf sämtliche Bereiche der Gesellschaft nicht durchblicken – und schon gar nicht mit der Verbesserung alter Prozesse beherrschen können. Daher sind intelligente Musterbrüche bei jeder Unternehmensgröße und in jedem Organisationstyp angesagt.

 

Banken auch? Vermissen Sie dort Musterbrecher besonders?

Ja, auch dort. Aber nicht mehr als in anderen Bereichen. Wir haben etwa die Handelsbanken in Stockholm besucht. Dort finden signifikante Musterbrüche statt. So arbeitet man dort seit den 1970er-Jahren ohne Budgets. Und der Erfolgsmaßstab ist nicht die Höhe der Erfüllung vorab definierter oder ausgehandelter Sollgrößen, sondern es ist ausschließlich der relative Vergleich mit einer Peergroup von Banken in der Region im Hinblick auf Return on Equity, Cost Income Ratio und Kundenzufriedenheit. Konsequenterweise gibt es auch keine klassischen Anreizsysteme für die Mitarbeitenden, sondern ein „Profit Sharing Scheme“. So wird bei Erreichen der relativen Erfolgsmaßstäbe ein Fonds gespeist, der allen Mitarbeitenden unabhängig von der hierarchischen Position denselben Anteil auf ihr Rentenkonto fließen lässt.

 

Braucht es Musterbrecher auch im privaten Bereich?

Ich glaube, dass Menschen im privaten Bereich deutlich musterbrechender unterwegs sind als im Berufsalltag. Viele Menschen haben Hobbys, in denen sie eine wahre Meisterschaft erreichen, sie sind exzellente Musikerinnen, erfinden Dinge oder sind mutige Weltenbummler. Im Privaten experimentieren Menschen ständig und suchen nach neuen Wegen. Deshalb müssten wir eher die Frage stellen, wie wir das Experimentieren zu einem selbstverständlichen Bestandteil in Organisationen werden lassen. Dort hat es nämlich keinen guten Ruf, sondern wird eher damit in Verbindung gebracht, gewissermaßen „keinen Plan“ zu haben.

 

Welche Stimmung fördert Musterbrecher – in Unternehmen, aber auch im privaten Raum?

Es ist, so meine Beobachtung, ein konsequentes Einsparen an Prozessen, Vorgaben und Regelungen, die Eigenverantwortung und Initiative verhindern oder gar im Keim ersticken. Dieses Verständnis von Einsparung finde ich übrigens sehr interessant. Man denke im Gegenzug an Unternehmen, die sich die gerade genannten Plastikwörter auf die Fahnen schreiben und auf der anderen Seite ein Acht-Augen-Prinzip bei einer harmlosen Bestellung oder beim Urlaubsantrag vorgeben. Darauf haben Musterbrecherinnen und Musterbrecher gar keine Lust …

Dr. Stefan Kaduk

Stefan Kaduk arbeitete nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München einige Jahre als Unternehmensberater und wurde 2002 an der Universität Basel mit einer Arbeit über organisationale Wandelfähigkeit promoviert. Von 2001 bis 2012 war er in Forschung und Lehre am Institut für Personalmanagement sowie am Institut für Internationales Management an der Universität der Bundeswehr in München tätig. Dort startete er mit Dirk Osmetz und Hans A. Wüthrich im Jahr 2001 die Musterbrecher-Initiative – also lange vor der heute so populären Welle der Querdenker und Andersmacher. 

Sein Schwerpunkt liegt auf der Frage, wie der sinnvolle Musterbruch in Organisationen inmitten allgegenwärtiger Sachzwänge gelingen kann. Stefan Kaduk gründete 2007 gemeinsam mit Dirk Osmetz die Musterbrecher® Managementberater. Er tritt als Key-Note-Speaker und Moderator auf Managementkonferenzen auf und begleitet Unternehmen bei der konkreten Arbeit am Musterbruch. Zusammen mit Dirk Osmetz hat er drei Bücher in jeweils mehreren Auflagen veröffentlicht und die Dokumentation »Musterbrecher – Der Film« produziert.

Dr. Stefan Kudek
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