Entlastung für kleine Banken, ohne Sicherheit zu senken

MEP Dr. Othmar Karas, Heft 1/2019

Ende 2018 haben sich die EU-Institutionen auf ein neues Bankenregulierungspaket geeinigt. Dieses soll nicht nur die Banken in Europa widerstandsfähiger machen, sondern auch die Bürokratie für kleine Banken reduzieren. Insoweit ist das ausverhandelte Regelwerk ein gemeinsamer Erfolg der Österreichischen Ratspräsidentschaft und des Europäischen Parlaments.

Am 4. Dezember 2018 war es soweit: Nach fünfzehn intensiven Trilog-Verhandlungsrunden zwischen dem Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten wurde in Brüssel eine politische Einigung zur neuen Bankenregulierung erzielt – ein Erfolg für die Österreichische Ratspräsidentschaft gemeinsam mit dem Europaparlament. Die neuen Regeln für alle knapp 6.500 europäischen Banken sind ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Vertiefung der Bankenunion: Sie bedeuten Bürokratieabbau, Risiko- und Kostenreduzierung und schaffen mehr Finanzstabilität, Wachstum, Arbeitsplätze und Kundennähe in Österreich wie Europa.

Seidl

Die umfassende Reform der Aufsichts- und Abwicklungsregeln geht auf einen Kommissionsvorschlag vom November 2016 zurück. Nachdem wir in Europa mit dem sogenannten „Single Rulebook“ ein starkes Fundament der Bankenunion als Antwort auf die Finanzkrise geschaffen haben, welches ich als Chefverhandler des Europäischen Parlaments maßgeblich mitgestalten durfte, galt es nun, weitere globale Standards in europäisches Recht umzusetzen und eine Reihe von Feinabstimmungen vorzunehmen. Die Maßnahmen haben zum Ziel, den Bankensektor widerstandsfähiger zu machen, den Steuerzahler besser bei Bankenpleiten zu schützen, die Kreditvergabe zu fördern und unnötige Bürokratie zu beseitigen.

Im Gesetzgebungsverfahren, an dem ich als Verhandlungsführer der Europäischen Volkspartei beteiligt war, stand stets die Einigung in der Sache im Mittelpunkt. Zum einen ging es darum, die globalen Baseler Ziele umzusetzen und zum anderen auf die Realwirtschaft, Wachstum und Beschäftigung sowie die europäischen Besonderheiten wie den dezentralen Bankensektor oder den Haftungsverbund Rücksicht zu nehmen. Im Europäischen Parlament wurden aus knapp 2.300 eingebrachten Abänderungsanträgen in zahlreichen Sitzungen rund 130 Kompromisse geschnürt, um eine breite fraktionsübergreifende Mehrheit für die Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten zu sichern. Auf Seite des Rates haben ab Ende 2016 vier Ratspräsidentschaften – die  Slowakei, Malta, Estland und Bulgarien – an der allgemeinen Ausrichtung gearbeitet. Allein während den anschließenden Trilogverhandlungen zwischen dem Parlament, dem Rat und der Kommission hat der Österreichische Ratsvorsitz seit Juli 2018 vierzehn Ratsarbeitsgruppen-Treffen in Brüssel organisiert.

Bürokratieabbau, Risiko- und Kostensenkung durchgesetzt

Das Ergebnis der rund zweijährigen Verhandlungen kann sich sehen lassen. Ich bin froh, dass alle meine Prioritäten durchgesetzt werden konnten. Wir haben nicht nur die notwendigen Maßnahmen zur Risikoreduktion auf den Weg gebracht, sondern auch den bislang größten Abbau unnötiger Bürokratie für kleine Banken beschlossen sowie das Regelwerk für neue Herausforderungen wie jene der Digitalisierung gerüstet.

Ein besonderes Anliegen war und ist mir das sogenannte Prinzip der Proportionalität. In den vergangenen Jahren wurde bei so manchen administrativen Anforderungen das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Nicht zuletzt aufgrund von unverhältnismäßigen Berichts- und Offenlegungspflichten sind bei kleinen Banken die Regulierungskosten teils so stark gestiegen, dass sie es nicht mehr schaffen. Im Vergleich zu großen Kreditinstituten weisen kleine und regionale Banken andere Risikoprofile und Verflechtungen mit der Wirtschaft auf. Überdies haben sich kleine und regionale Banken gerade im zentraleuropäischen Raum eine starke Stellung als Partner für Familienunternehmen, KMUs und Kleinsparer erworben. Diese Vielfalt im europäischen Bankensektor stärkt die Realwirtschaft, das Wachstum, die Beschäftigung und die Kundennähe. Im Gesetzgebungsverfahren habe ich mich daher dafür eingesetzt, dass Auflagen, Regulierungen und Bürokratie künftig im Verhältnis zu Größe, Risiko und Komplexität der Bank stehen. Auch wenn es für das kleinste Finanzinstitut Regeln geben muss, muss noch stärker zwischen der kleinen „Bank im Ort“ und dem riesigen, „global tätigen Institut“ unterschieden werden.

Nicht zuletzt dank der ambitionierten Verhandlungsposition des Europaparlaments konnten wir den Kommissionsvorschlag bezüglich der Proportionalität maßgeblich stärken. Erstmals definieren wir in der Regulierung kleine und nicht komplexe Banken über die Festlegung einer Bilanzschwelle von unter fünf Milliarden Euro bei gleichzeitiger Erfüllung qualitativer Kriterien (wie zum Beispiel das Führen eines kleinen Handelsbuches). Für Institute, die unter diese Definition fallen, werden erhebliche administrative Erleichterungen bei den Berichts- und Offenlegungspflichten vorgesehen. Bei der Erfüllung bestimmter Schwellenwerte werden zudem organisatorische Anforderungen in den Regelungsbereichen Marktrisiko und Vergütung reduziert sowie die Verwendung einer vereinfachten strukturellen Liquiditätskennziffer (sNSFR - simplified Net Stable Funding Ratio) ermöglicht. 

Seidl

Damit duplikative Meldepflichten an unterschiedliche Behörden künftig der Vergangenheit angehören, wird der Grundstein für ein integriertes Europäisches Melderahmenwerk gelegt sowie die Zusammenarbeit und der Informationsaustausch zwischen allen zuständigen Behörden vereinfacht und gestärkt. Regulierungskosten für kleine und nicht komplexe Banken sollen durch die Maßnahmen um 20 Prozent sinken. Allein in Österreich sollen über 90 Prozent der Banken von den administrativen Erleichterungen profitieren.

Damit die Kreditvergabe für die Realwirtschaft nicht auf der Strecke bleibt und Engpässe bei der Unternehmensfinanzierung vermieden werden, hat das Europäische Parlament auch eine Erhöhung der Kreditschwelle beim sogenannten KMU-Faktor durchgesetzt (von bisher 1,5 auf nunmehr 2,5 Millionen Euro). Diesen Unterstützungsfaktor, durch den Kredite an mittelständische Unternehmen mit weniger Eigenkapital hinterlegt werden müssen, hatte ich bereits im Jahr 2013 als Berichterstatter für die Bankenregulierung verankert. Auch Investitionen in die Infrastruktur werden künftig mit einem begünstigten Risikogewicht unterstützt.Außerdem hat das Europaparlament in den Verhandlungen erreicht, eine Antwort auf die zunehmende Herausforderung der Digitalisierung im Bankensektor zu finden. Das ist wichtig, wenn man bedenkt, dass noch im Jahr 2008 nur 29 Prozent aller europäischen Verbraucher Online-Banking-Dienste in Anspruch genommen haben und sich diese Zahl mittlerweile beinahe verdoppelt hat. Auch, dass der Großteil der 27 Milliarden Euro an weltweiten Investitionen in neue Finanz-Technologien („FinTech“) in den USA und China stattfinden und sich der europäische Anteil trotz steigender Tendenz auf derzeit nur 4,6 Milliarden Euro beläuft, macht Maßnahmen notwendig. Um die europäischen Banken bei der digitalen Transformation zu unterstützen und ein Level-Playing-Field mit anderen Ländern wie den USA herzustellen, soll daher künftig der Nicht-Abzug von bestimmten Software Investments von den Eigenmitteln ermöglicht werden.

Bei der Umsetzung der internationalen Standards standen sowohl die notwendige Risikoreduktion als auch die Berücksichtigung der strukturellen Besonderheiten des europäischen Bankensektors im Mittelpunkt. Denn Europas Realwirtschaft ist im Gegensatz zu den USA großteils kredit- und nicht kapitalmarktfinanziert. Durch die Stärkung der Verlustabsorptionskapazität von systemrelevanten Banken im Abwicklungsfall (TLAC - Total Loss Absorbing Capacity) wird der Entstehung von Finanzkrisen besser vorgebeugt und die Möglichkeit einer geordneten Abwicklung von in Schieflage geratenen Instituten ohne Rückgriff auf Steuerzahlergeld ausgebaut. Mittels der grundlegenden Überarbeitung des Handelsbuches (FRTB - Fundamental Review of the Trading Book) sowie der Einführung einer nunmehr verpflichtenden strukturellen Liquiditätskennziffer (NSFR - Net Stable Funding Ratio) und Verschuldungsquote in der Höhe von drei Prozent (Leverage Ratio) sollen Widerstandsfähigkeit und Vertrauen im Finanzmarkt weiter gestärkt werden. Gleichzeitig nimmt der europäische Gesetzgeber mittels gezielter Abweichungen von den internationalen Standards auf besondere europäische Geschäftsmodelle – wie etwa auf jenes der Bausparkassen oder das Förderbankengeschäft – Rücksicht. 

Praxisnahe Regulierung braucht Dialog

Das gute Verhandlungsergebnis ist nicht zuletzt auch ein weiteres Erfolgsbeispiel für die europäische Zusammenarbeit und beweist die Handlungs- und Kompromissfähigkeit der Europäischen Union. Ohne den politischen Willen und einen konstruktiven Dialog mit allen relevanten Stakeholdern wäre eine praxisnahe Regulierung nicht möglich. In diesem Sinne freue ich mich, den Austausch mit dem Raiffeisensektor auch in Zukunft fortsetzen zu können und die Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion zum Vorteil aller europäischen Bürger mitzugestalten.

Gerne stehe ich mit meinem Team bei Fragen und Anregungen jederzeit zur Verfügung.
Dr. Othmar Karas
Telefon: +32 (0)2 284 5627
Web: www.othmar-karas.at
E-Mail: othmar.karas@europarl.europa.eu
Twitter: @othmar_karas
Facebook: othmar.karas

 
MEP Dr. Othmar Karas ist Abgeordneter im Europäischen Parlament und Mitglied des Wirtschafts- und Währungsausschusses ECON.

01.01.2019 - Überregulierung