Raiffeisen Genius Award 2024

Manuel Hanselmann, MSc. (Heft 9/2024)

Zu Beginn des Jahres 2024 hat der Österreichische Raiffeisenverband (ÖRV) den ersten Wettbewerb für neue Genossenschaftsideen – den Raiffeisen Genius Award – ins Leben gerufen. Ziel war es, innovative, regionale Ideen zu finden, die bestmöglich in Form einer Genossenschaft umgesetzt werden können. Insgesamt wurden 48 Genossenschaftsprojekte im Zeitraum Jänner bis März 2024 auf einer eigens dafür eingerichteten Website eingereicht. Im Zuge des Raiffeisentages am 27. Juni 2024 in Alpbach hat der ÖRV die drei Gewinnerteams des Raiffeisen Genius Awards prämiert. Insgesamt wurden 3 Geldpreise in der Höhe von 15.000, 5.000 und 3.000 Euro als Genossenschaftsstarthilfe übergeben.

Die Themen der Gewinnerteams sind vielfältig und knüpfen an aktuelle Probleme unserer Zeit an: Energieversorgung, Gesundheit und demografischer Wandel. Die Ideen sollen nun gemeinsam mit den Revisionsverbänden der jeweiligen Bundesländer umgesetzt werden.

Genossenschaft – die große Unbekannte?

 

Valdis

Genossenschaften sind in Österreich nur mäßig bekannt. Laut einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des ÖRV ist die Organisationsform Genossenschaft nur bei 36 % der Österreicher:innen gut bzw. sehr gut bekannt. Dabei ist für die Mehrheit der Befragten (55%) der genossenschaftliche Grundgedanke – also der gemeinsame Geschäftsbetrieb, um die Interessen und Ziele der Mitglieder zu verfolgen – von hoher bzw. sehr hoher Relevanz. Befragt man die Österreicher:innen ganz konkret zu Raiffeisen, wissen nur 4 von 10 Personen, dass Raiffeisen als Genossenschaft organisiert ist. Bei den Jungen unter 35-Jährigen sind es sogar nur 3 von 10.

Diese Daten zeigen, dass Genossenschaften bzw. deren Wertefundament eine hohe Relevanz und Attraktivität haben. Das Bewusstsein dafür, was eine Genossenschaft konkret ist und vor allem auch, dass Raiffeisen genossenschaftlich organisiert ist, ist nur gering ausgeprägt. Erfreulich ist hier die Tatsache, dass Personen, die Genossenschaften kennen, diese auch überdurchschnittlich attraktiv bewerten – rund 7 von 10 Österreicher:innen geben hier eine gute bzw. sehr gute Bewertung.

Die Genossenschaft als Gründungsrechtsform

Die Attraktivität der Organisationsform zeigt sich unter anderem auch an den Genossenschaftsgründungen der letzten Jahre. Diese haben seit einigen Jahren massiv an Fahrt aufgenommen. Waren es in den Jahren 2017 bis 2020 noch um die 30 Genossenschaftsneugründungen pro Jahr, waren es im Jahr 2021 bereits 45. Den großen Sprung gab es im Jahr 2022 mit insgesamt 92 Genossenschaftsgründungen – vorrangig im Energiebereich durch Erneuerbare Energiegemeinschaften. Im Jahr 2023 gab es 70 Neugründungen.

Die Genossenschaft als Rechtsform ist für Start-Ups dann gut geeignet, wenn diese als Zielsetzung die Lösung von aktuellen Problemen zur Förderung der Mitglieder, die als Geschäftspartner:innen, Miteigentümer:innen sowie Kapitalgeber:innen gleichermaßen agieren, haben. Die vor allem auch wirtschaftlichen Vorteile einer Genossenschaft sind durchaus vielfältig und umfassen ein geringes Mindestkapital, geringe Gründungskosten, keine Mindestkörperschaftssteuer sowie die professionelle Betreuung durch einen Raiffeisen Revisionsverband.

Vor einigen Jahren haben die Raiffeisen Revisionsverbände in einem gemeinsamen Schulterschluss die Genossenschafts-Gründungsplattform kooperieren.at gegründet, die Gründungswilligen die wichtigsten Informationen zum Weg zur ersten Genossenschaft gibt. Als aktuelles Genossenschaftsbeispiel erscheint in diesem Zusammenhang die im Jahr 2023 gegründete Genossenschaft „Hutwisch Regionalentwicklung“ oder kurz „s’Hutwisch“ im niederösterreichischen Hochneukirchen als besonders interessant. Dabei handelt es sich um eine Raiffeisen-Genossenschaft, die mithilfe der Kraft der hiesigen Bevölkerung das Dorfwirtshaus „gerettet“ hat und in Form einer Genossenschaft weiterführt. Die finanziellen Mittel und somit auch die Mitglieder wurden über Crowdfunding (auch das ist bei einer Genossenschaft möglich) gewonnen. Ein genossenschaftliches Erfolgsmodell, bei dem dieses Jahr auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen zu Besuch war.

Eure Idee für eure Region

Die hohe Attraktivität von Genossenschaften – sei es in der Außenwahrnehmung, aber auch betreffend der Genossenschaftsgründungen – steht einer ausbaufähigen Bekanntheit gegenüber. Bei der Initiierung des Raiffeisen Genius Awards 2024 hatten wir zwei Zielsetzungen: Einerseits die besten neuartigen Genossenschaftsideen von der Region für die Region zu finden und diese durch die Siegerprämien bei der Umsetzung zu unterstützen und andererseits Bewusstsein für das Thema Genossenschaft in der Bevölkerung zu schaffen und so zu zeigen, was mit Genossenschaften möglich ist.

Zur Verwirklichung dieser Ziele haben wir – gemeinsam mit unseren Partner:innen im Raiffeisensektor – neue kommunikative Wege beschritten und uns folgender Werbemittel bedient:

  • Eine Social Media Kampagne mit diversen Werbevideos, die für die offiziellen Kanäle der Zentralen Raiffeisen Werbung auf Instagram, LinkedIn, etc. genutzt werden sollte.
  • Eine digitale Sujet-Linie, die über die Raiffeisenbanken, Raiffeisen Lagerhausgenossenschaften, Raiffeisen Landesbanken, die Raiffeisen Ware Austria sowie über die Raiffeisenverbände geteilt werden konnte.
  • Ein umfangreiches analoges Kommunikationspaket – bestehend aus Flyern, Plakaten, Stickern und Tischaufstellern – für ausgewählte Stakeholder im Raiffeisensektor.
  • Eine intensive Berichterstattung in der Raiffeisenzeitung sowie Inserate in diversen Magazinen.

Als Dreh- und Angelpunkt des Genius Awards wurde mit Anfang Jänner 2024 eine eigene Website – raiffeisengeniusaward.at – eingerichtet, die nicht nur als Einreichplattform für Genossenschaftsideen fungiert, sondern auch wesentliche Informationen zu Genossenschaften bereitgestellt hat. Zusätzlich wurde immer wieder auf die Raiffeisen Gründungsplattform kooperieren.at verwiesen, um die Genossenschaft als Gründungsrechtsform stärker in den Fokus zu rücken.

Bei allen kommunikativen Bestrebungen war es vor allem das gute Zusammenspiel im Sektor selbst, das den Raiffeisen Genius Award nach außen getragen hat – also das gelebte „WIR macht’s möglich“. Mit einem Mal waren die Genius Award Sujets auf allen Raiffeisen Websites, auf Instagram lief mit Unterstützung der Zentralen Raiffeisen Werbung die Genius Award Videoreihe, in den Raiffeisenbanken sowie in den Raiffeisen Lagerhausgenossenschaften und der RWA wurde vor allem digital geworben und in einem Bundesland wurde der Genius Award in „Mein ELBA“ eingepflegt.

Mit diesem genossenschaftlichen Ruck, der durch den Sektor ging, konnte Aufmerksamkeit für das Thema Genossenschaft generiert werden. Insgesamt verzeichnete die Genius Award Website seit dem Launch im Jänner 2024 bis inkl. Juli 2024 eine Besucher:innenanzahl von 44.795 – mit dem Höhepunkt im Februar und März. Zusätzlich konnten zwischen Dezember 2023 und März 2024 die Zugriffszahlen auf die Raiffeisen Gründungsplattform kooperieren.at mehr als verdoppelt werden.

Beurteilungskriterien: Zwischen Innovation und Realisierbarkeit

Alle eingereichten Genossenschaftsideen mussten sich hinsichtlich der zuvor definierten Beurteilungskriterien beweisen. Diese waren einerseits stark formeller Natur und folgten zuvor definierten Teilnahmebedingungen. Eingereicht werden durfte beispielsweise ausschließlich von Personengruppen von mindestens zwei Personen (bezugnehmend auf die Voraussetzung im Genossenschaftsgesetz) sowie von juristischen Personen – beide mit Haupt(wohn)-
sitz in Österreich.

Andererseits wurden klare qualitative Kriterien eingeführt, die die Ideen auf ihren neuartigen Nutzen sowie auf die genossenschaftliche Tauglichkeit hin überprüfen sollten. Folgende Qualitätsmerk­male wurden von den Jurymitgliedern, bestehend aus Revisions- sowie Marketingexpert:innen aus dem Raiffeisensektor, herangezogen:

  • Neue Regionalentwicklungsideen, die po­tenziell als Genossenschaft realisierbar sind;
  • größtmöglicher Nutzen für die Region bzw. die Menschen in der Region;
  • hoher Innovationsgrad;
  • bestmögliche Realisierbarkeit in der Rechtsform der Genossenschaft;
  • optimale Berücksichtigung genossenschaftlicher Werte und Prinzipien;
  • wünschenswerte Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten.

Insgesamt mussten die einreichenden Teams 10 Fragen zu ihren Genossenschaftsideen in Bezug auf die angeführten Qualitätsmerkmale beantworten. Wichtig war hierbei, dass es sich um neuartige Projekte handelt, um so auch den beiden in der Kampagne verwendeten Slogans „Seht ihr die Welt so wie sie ist, oder seht ihr die Welt, wie sie sein könnte?“ sowie „Öffnet eure Augen für das Mögliche[…]“ bestmöglich Rechnung zu tragen.

Die Branchen, aus denen die einigereichten Ideen stammten, waren vielfältig: Energie, Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Gastronomie, Lebensmittelhandel, Versicherung, Recycling, Mobilität, etc. Großes Augenmerk legte die Jury auf eine gute Balance zwischen Innovation und Realisierbarkeit mit dem Argument, dass eben nicht alle Ideen als Genossenschaft realisierbar sind. Auf Basis dieser Qualitätsrichtschnur konnten aus den 48 Einreichungen 3 Gewinnerideen ausgewählt werden.

Die Siegerideen im Überblick

Eine Genossenschaft beginnt immer mit einem Problem, das man nur mit der Kraft der Gemeinschaft – zum Wohle dieser Gemeinschaft – lösen kann. Das ist unter anderem das wesentlichste Unterscheidungsmerkmal zu anderen Rechtsformen. Die 3 Siegerideen des Raiffeisen Genius Awards fokussieren auf 3 ganz konkrete regionale Probleme, die sie lösen. Alle 3 konnten die Jury letztendlich von ihren Geschäftsmodellen überzeugen.

Platz 1: Gemeinsam mehr erreichen – Gründung einer regionalen Betreibergenossenschaft für Ökostromanlagen (OÖ)

Die Genossenschaft „Gemeinsam mehr erreichen“ hat das Ziel, die Region Freistadt durch gemeinschaftlichen Ausbau und Betrieb von Ökostromanlagen energieunabhängiger zu machen. Ziel ist es, durch eine regional organisierte Photovoltaik-Strategie die Energiewende voranzutreiben, wobei alle Bürger:innen, Unternehmen und Gemeinden der Region von dem Projekt profitieren sollen. Die Genossenschaft setzt auf soziale Gerechtigkeit, indem sie sicherstellt, dass nicht nur wenige Investoren, sondern die gesamte Region von den erneuerbaren Energiequellen profitiert.

Platz 2: Gesundheits-Genossenschaft: „APCA – Austrian Primary Care Association eGen mbH – Österreichische Vereinigung für Primärversorgung, eHealth & Telemedizin“ (NÖ)

Die Gesundheits-Genossenschaft "APCA" soll Synergien im Bereich der Primärversorgung schaffen und die Gesundheitsversorgung in Österreich verbessern. Sie unterstützt Mitglieder wie Gesundheitszentren und Gruppenpraxen durch die gemeinsame Entwicklung von Software, Optimierung von Abläufen, Schulungen und Verhandlungen. Ziel ist es, die Gesundheitsversorgung und Prävention in den Regionen zu stärken. Die Genossenschaft befindet sich derzeit in der Testphase in Niederösterreich und plant eine landesweite Ausdehnung.

Platz 3: Genossenschaft Zellerndorf 6 Miteinander (NÖ)

Die geplante Genossenschaft „Zellerndorf 6 Miteinander“ soll dem demografischen Wandel in der Marktgemeinde Zellerndorf entgegenwirken, indem sie Jung und Alt zusammenbringt. Ziel ist es, durch gemeinschaftliche Lösungen die soziale Teilhabe älterer Menschen zu fördern und ihre Vereinsamung zu verhindern. Geplant ist unter anderem eine Tagesstätte für Senior:innen und altersgerechte Wohnprojekte. Die Initiative möchte Bürger:innen zur Mitbestimmung ermutigen und die Idee im Rahmen des Projekts "Zellerndorf 2050" weiterentwickeln.

In der Zwischenzeit ist Platz 2 bereits als Genossenschaft gegründet und im Firmenbuch eingetragen. Platz 1 hatte im Juli die Gründungsversammlung und Platz 3 wird von den Initiatoren jedenfalls weiterverfolgt.

Die Genossenschaftsidee auf die Bühne holen

Eines hat der Raiffeisen Genius Award gezeigt: Bei Raiffeisen ist das Thema Genossenschaft nicht der kleinste gemeinsame Nenner, sondern das größte gemeinsame Vielfache. Steigt die Bekanntheit von Genossenschaften in Österreich, und wird Raiffeisen auch noch stärker als Genossenschaft wahrgenommen, trägt das massiv zu einer noch positiveren Wahrnehmung des Giebelkreuzes bei. Dazu müssen wir die Genossenschaftsidee noch öfters gemeinsam auf die Bühne holen. Gut bietet sich da beispielsweise das nächste Jahr an, ist es doch das von den Vereinten Nationen ausgerufene „Internationale Jahr der Genossenschaften“.

Manuel Hanselmann, MSc. leitet das Kompetenzzentrum Genossenschaft im Österreichischen Raiffeisenverband.

02.09.2024 - Sonstiges