Neue Regelungen bei virtuellen Gesellschafterversammlungen

Univ.-Prof. Dr. Markus Dellinger, Heft 11/2023

Die Coronazeit hat in allen Bereichen von virtuellen Zusammenkünften einen Entwicklungsschub gebracht. Vieles davon hat sich bewährt. Deshalb ist es zu begrüßen, dass der Gesetzgeber die Zulassung virtueller Generalversammlungen nach Ende der Coronabeschränkungen nicht einfach ersatzlos auslaufen lässt, sondern manche Lösungen in das Dauerrecht übernimmt. Im folgenden Beitrag wird untersucht, was künftig geht und ob man dafür gegebenenfalls Vorkehrungen in den Satzungen und Geschäftsordnungen treffen muss.

Es ist, gefühlt, schon wieder weit weg, aber in Wahrheit noch nicht lange her, da durften wir keine Hände schütteln und sollten möglichst jeden Sozialkontakt vermeiden. Der Gesetzgeber hat das damals auch für den Bereich der Generalversammlungen und der Gremienarbeit gefördert und sehr weitgehend virtuelle Sitzungen zugelassen, und zwar unabhängig von den jeweiligen Satzungsformulierungen. Damit ist es nun vorbei. Die gesellschaftsrechtlichen Coronaregeln sind letztmalig bis zum 30.6.2023 verlängert worden und daher inzwischen ausgelaufen. Am 14.7.2023 ist stattdessen immerhin das sog. Virtuelle Gesellschafterversammlungen-Gesetz (VirtGesG) in Kraft getreten. Dieses beschränkt sich für alle erdenklichen Rechtsformen auf die Regelung von Gesellschafterversammlungen.

Seidl
© Dieter Steinbach

Gesellschafterversammlungen

Geregelt wird also im Fall der Raiffeisenbanken die virtuelle genossenschaftliche Generalversammlung und im Fall der Raiffeisen Bank Inter­national AG (RBI) und der Raiffeisen Landesbanken AGs (RLB) die virtuelle aktienrechtliche Hauptversammlung. Die jeweiligen ordentlichen Versammlungen sind aufgrund des Auslaufens des Gesellschaftsrechtlichen COVID-19-Gesetzes wieder innerhalb der ersten 8 Monate eines Geschäftsjahres abzuhalten. Miterfasst werden von der Neuregelung nach den Erläuternden Bemerkungen zum VirtGesG auch Delegiertenversammlungen, wie sie bei Genossenschaften bekanntlich ab 500 Mitgliedern vorgesehen werden können. Darüber hinaus wird man annehmen dürfen, dass satzungsmäßige Regelungen, die für die General- oder Delegiertenversammlung getroffen werden, im Zweifel auch für die Sprengelversammlungen gelten werden, in denen die Delegierten üblicherweise gewählt werden.

Damit eine virtuelle Generalversammlung oder auch nur die virtuelle Teilnahme mancher Mitglieder an einer physisch abgehaltenen Generalversammlung zulässig ist, bedürfte es einer entsprechenden Regelung in der Satzung. Die Einführung derartiger Satzungsregelungen auf Ebene der Raiffeisenbanken ist derzeit nicht geplant. Schließlich entspricht die Abhaltung einer realen Generalversammlung mit Anwesenheit von Menschen und der Möglichkeiten des Gedankenaustauschs und der Beziehungspflege dem genossenschaftlichen Grundansatz, die Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. 

Eine allfällige Satzungsregelung müsste außerdem festlegen, ob die Generalversammlung immer virtuell abzuhalten ist oder ob das einberufende Organ (= der ehrenamtliche Vorstand oder – bei hauptberuflichen Vorstandsmitgliedern – der Aufsichtsrat) im Rahmen der Einberufung über die Form der Durchführung der Versammlung frei entscheiden kann. Denkbar sind auch Mittellösungen. So könnte die Satzung zB vorsehen, dass die ordentliche Generalversammlung immer als Präsenzversammlung abzuhalten ist, während es bei einer außerordentlichen Generalversammlung dem ein­berufenden Organ überlassen bleibt, stattdessen zu einer virtuellen Sitzung zu laden. Eine solche Regelung kann zB auf RBI- oder RLB-Ebene sachgerecht sein.

Man denke an die manchmal mehr oder weniger dringlich formulierten Wünsche der Aufsicht, die RBI oder eine RLB möge eine Dividendenausschüttung erst dann in voller Höhe vornehmen, wenn klar ist, dass bestimmte Risiken nicht schlagend werden. In solchen Fällen könnte in der ordentlichen Haupt- oder Generalversammlung der RBI bzw. RLB zunächst beschlossen werden, dass der Gewinn (teilweise) auf neue Rechnung vorgetragen wird, sich die Haupt- bzw Generalversammlung aber vorbehält, nach Wegfall des Risikos nachträglich eine Ausschüttung zu beschließen. Wenn feststeht, dass das Risiko weggefallen ist, ist der nachträgliche Gewinnverwendungsbeschluss dann meist nur noch Formsache und es bedarf dazu nicht unbedingt einer zeitaufwändigen Präsenzversammlung.

Im Übrigen bietet der Gesetzgeber drei verschiedene Varianten von Gesellschafterversammlungen ohne physische Präsenz aller teilnehmenden Gesellschafter an, nämlich die:

  • „einfache virtuelle Versammlung“, die
  • „moderierte virtuelle Versammlung“ und die
  • „hybride Versammlung“.

Bei den ersten beiden Varianten gibt es für die Gesellschafter keine physische Teilnahmemöglichkeit. Der Unterschied zwischen der einfachen und der moderierten virtuellen Versammlung liegt in der zur Durchführung notwendigen technischen Ausstattung und in der Art, wie man sich als Gesellschafter zu Wort melden kann.

Bei der einfachen virtuellen Versammlung muss eine optische und akustische Zweiwegverbindung in Echtzeit bestehen, wie bei einer ganz normalen via „MS-Teams“, „Zoom“, „Skype“ etc. abgehaltenen Konferenz.  Wenn man etwas sagen will, schaltet man sein Mikrophon auf „laut“ und schon geht es los. Diese Variante stößt bei einigen hundert teilnehmenden Personen an technische und praktische Grenzen. Dann besteht die Gefahr, dass mehrere gleichzeitig reden und niemand mehr etwas versteht.

Für größere Zahlen von teilnehmenden Personen bietet sich daher die moderierte virtuelle Versammlung an. Bei dieser gibt es keine permanente optische und akustische Zweiwegverbindung, sondern „nur“ eine optische und akustische „Übertragung“ (= eine Einwegverbindung) in Echtzeit. Wer etwas sagen will, muss sich beim Moderator elek­tronisch melden (zB elek­tronisch aufzeigen, eine Chatnachricht oder eine E-Mail schreiben). Die Erläuternden Bemerkungen zum VirtGesG gehen davon aus, dass es sich beim Moderator um den Versammlungsleiter/die Versammlungsleiterin handelt. In der Praxis wird man hier aber jedenfalls Hilfspersonen einsetzen, die den Versammlungsleiter oder die Versammlungsleiterin auf die Wortmeldung aufmerksam machen und für die technische Abwicklung sorgen. Wenn einem die Versammlungsleitung dann nämlich das Wort erteilt, muss eine Redemöglichkeit im Wege der Videokommunikation gewährt werden und auch das wird die versammlungsleitende Person kaum selbst bewerkstelligen.

Die hybride Versammlung vereinigt die Elemente einer physischen und einer (einfachen oder moderierten) virtuellen Versammlung und überlässt dem einzelnen Teilnehmer die Wahl, in welcher Form er teilnehmen will. Es ist daher ein konkreter Versammlungsort festzulegen, an dem die physische Anwesenheit der Teilnehmer möglich ist. Gleichzeitig sollen die Gesellschafter aber auch die Möglichkeit erhalten, ihre Rechte in Form der elektronischen Kommunikation auszuüben, ohne am Versammlungsort physisch anwesend zu sein.

In den Erläuternden Bemerkungen wird auch betont, es sei zu gewährleisten, dass physische und virtuelle Teilnehmer gleichwertig behandelt werden; insbesondere werde darauf zu achten sein, Informations- und Interventionsasymmetrien zwischen den am Versammlungsort Anwesenden und den auf elektronischem Weg teilnehmenden Gesellschaftern zu vermeiden. Das ist etwas hochtrabend ausgedrückt, aber wer schon einmal versucht hat, an einer vor Ort hitzig geführten Debatte als virtuell zugeschaltete Person teilzunehmen, weiß, was mit „Interventionsasymmetrie“ gemeint ist. Es ist gar nicht leicht, da zwecks Intervention zu Wort zu kommen. Demensprechend ist es wichtig darauf zu achten, dass die Debatte eben gerade nicht allzu hitzig, sondern geordnet abläuft und auch die virtuellen Teilnehmer ihren Beitrag zur Meinungsbildung leisten können.

Das neue Gesetz regelt im Übrigen auch, was gilt, wenn die Technik streikt. Die Gesellschaft trifft in diesem Fall nur insofern eine Verantwortung, als die nicht funktionierenden technischen Einrichtungen ihrer Sphäre zuzurechnen sind. Demnach wird die Anfechtung eines Gesellschafterbeschlusses etwa dann möglich sein, wenn die von der Gesellschaft eingesetzte Videokonferenz-Software oder ihr Server versagt hat, nicht aber dann, wenn ein teilnehmender Gesellschafter individuelle Verbindungsprobleme hatte.

Rechtspolitisch umstritten war die Zulassung virtueller Versammlungen bei der börse­notierten Aktiengesellschaft. Hier wurde teils befürchtet, dass die Möglichkeit, virtuelle Versammlungen vorzusehen, dazu missbraucht werden könnte, technisch weniger gut ausgestattete, oft ältere Kleinaktionäre fernzuhalten und ihre demokratischen Teilnahmerechte zu beschneiden. Nicht zuletzt deshalb ist wohl eine Evaluierung des Gesetzes nach fünf Jahren vorgesehen. Positiv anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass etwa die RBI in der Vergangenheit eine der ganz wenigen börsenotierten Aktiengesellschaften war, die den Aufwand einer hybriden Versammlung auf sich genommen und ihren Aktionären damit ein Optimum an Teilnahmemöglichkeiten zur Verfügung gestellt hat.

Nicht in das Dauerrecht übernommen wurde die im Genossenschaftsbereich in Coronazeiten häufig genutzte Möglichkeit schriftlicher Mitgliederbeschlüsse.

Aufsichtsrat

Die während der Coronaeinschränkungen geltenden Erleichterungen sind mit dem Auslaufen des Gesellschaftsrechtlichen COVID-19-Gesetzes per 30.6.2023 weggefallen. Für die Beschlussfassung außerhalb einer Präsenzsitzung gibt es seither wieder nur die folgenden Möglichkeiten:

  • Umlaufbeschlüsse des Aufsichtsrates sind zulässig, wenn dies in der Satzung vorgesehen ist und kein Mitglied diesem Verfahren widerspricht. Gibt es keine entsprechende Satzungsregelung, so muss der Aufsichtsrat seine Beschlüsse grundsätzlich „in Sitzungen“ fassen.
  • Die Möglichkeit, eine schriftliche Beschlussfassung ohne Widerspruchsrecht anzuordnen, ist ersatzlos entfallen.
  • Die Alternative zum Umlaufbeschluss ist die virtuelle Sitzung bzw. die virtuelle Teilnahme an einer Sitzung. Diese ist, wenn eine echte optische und akustische Zweiwegverbindung sichergestellt ist, allgemein als vollwertige Sitzung bzw. als vollwertige Sitzungsteilnahme anerkannt. Sie ist grundsätzlich zulässig, ohne dass das einzelne Aufsichtsratsmitglied dagegen ein Widerspruchsrecht hätte, es sei denn, sie wird in der Satzung oder in der Geschäftsordnung ausgeschlossen. Ob ein solcher Ausschluss gewollt ist, kann etwa dann fraglich sein, wenn die Beschlussfähigkeit nicht nur an die Teilnahme, sondern an die „Anwesenheit“ der Hälfte der Mitglieder geknüpft wird.

Die Satzungen der Raiffeisenbanken vermeiden üblicherweise solche Formulierungen und überlassen die nähere Regelung der Einberufung und der Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrates den Geschäftsordnungen. Um alle Zweifel auszuschließen, empfiehlt es sich, in der Geschäftsordnung klarzustellen, dass als Sitzung auch eine entsprechend angekündigte Videokonferenz gilt bzw. dass bei entsprechender Einladung auch virtuell zugeschaltete Mitglieder für die Beschlussfähigkeit als „teilnehmend“ oder „anwesend“ gelten.

Ehrenamtlicher Vorstand

Für den ehrenamtlichen Vorstand wird - anders als für den Aufsichtsrat – ganz allgemein vertreten, dass Umlaufbeschlüsse auch ohne Satzungsermächtigung zulässig sind. Hinderlich könnte hier höchstens eine Satzungsklausel oder eine Geschäftsordnung sein, die als Verbot von Umlaufbeschlüssen zu werten wäre. In ähnlicher Weise ist die Abhaltung virtueller oder hybrider Vorstandssitzungen im Rahmen der jeweiligen Satzungs- oder Geschäftsordnungsregelung zulässig. Eine diesbezügliche Klarstellung in der Geschäftsordnung empfiehlt sich hier wie beim Aufsichtsrat.

Geschäftsleitung

Wie die Geschäftsleitung ihre Beschlüsse fasst, richtet sich nach der für die Geschäftsleitung erlassenen Geschäftsordnung. Diese ist in der Zulassung von Beschlüssen außerhalb von Präsenzsitzungen frei. Sie kann zB vorsehen, dass physisch abwesende Geschäftsleiter:innen per Videokonferenz oder auch nur telefonisch an Geschäftsleitersitzungen teilnehmen oder ihre Stimme per E-Mail abgeben können.

Resümee

Insgesamt ist es wichtig zu berücksichtigen, dass die Coronaregeln ausgelaufen sind. Die Zulässigkeit virtueller Gremienarbeit hängt nun wieder von der Ausgestaltung der Satzung und der Geschäftsordnung ab. Die virtuelle oder hybride Generalversammlung, die durch das Virtuelle Gesellschafterversammlungen-Gesetz ermöglicht wird, bedürfte einer Satzungsänderung. Auf Ebene der Raiffeisenbanken sind solche Satzungsänderungen nicht zu empfehlen.

Univ.-Prof. Dr. Markus Dellinger ist Syndikus des Österreichischen Raiffeisenverbandes.

02.11.2023 - Sonstiges