Kundenzufriedenheit: Von Promotoren zu aktiven Botschaftern

Dr. Jens Kleine, Dr. Thomas Jürgenschellert (Heft 7-8/2024)

Die meisten Menschen haben in ihrem Leben schon einmal eine Nachricht von ihrem Produkt- oder Dienstleistungsanbieter mit der sehr konkreten Frage erhalten: „Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie unser Unternehmen einem Freund oder Kollegen weiterempfehlen?“ Der sog. Net Promoter Score (NPS) ist eine Kennzahl, die erstmals von Frederick F. Reichheld in seinem Artikel „The One Number You Need to Grow“ in dem Harvard Business Review im Jahr 2003 eingeführt wurde – und somit schon seit mehr als 20 Jahren in der Praxis verwendet wird. Die Einbindung des NPS in die Gesamtstrategie der Bank zur Steigerung der Kundenzufriedenheit und -weiterempfehlung soll im folgenden Beitrag näher beleuchtet werden.

 

Lassen Sie uns zu Beginn einen Blick auf die Hintergründe und Funktionsweise des NPS werfen.

Gruber
Nefischer

Der Net Promoter Score

Der Ursprung dieser Kennzahl liegt in der Erkenntnis, dass herkömmliche Kundenbefragungen oft zu kompliziert und schwer interpretierbar sind. Frederick Reichheld entwickelte daher eine Methodik, die auf einer einzigen, leicht verständlichen Frage basiert. Die Antworten werden auf einer Skala von 0 bis 10 bewertet. Basierend auf diesen Bewertungen werden die Kunden in drei Kategorien eingeteilt: Promotoren (9-10), Passive (7-8) und Detraktoren (Unzufriedene, 0-6). Der NPS wird berechnet, indem der Prozentsatz der Detraktoren vom Prozentsatz der Promotoren subtrahiert wird. Das Ergebnis kann zwischen -100 und +100 liegen. Ein positiver NPS zeigt, dass das Unternehmen mehr Promotoren als Detraktoren hat, was auf eine hohe Kundenloyalität und potenzielles Wachstum hinweist. Durch regelmäßige Erhebungen des NPS können Unternehmen Trends erkennen und ihre Strategien entsprechend anpassen.

Besonders relevant ist der NPS in der Finanzdienstleistungsbranche. Banken operieren in einem stark umkämpften Markt, in dem Kundenbindung und -zufriedenheit entscheidend sind. Ein hoher NPS kann auf eine starke Kundenbindung hinweisen, was in einer Branche, in der Vertrauensverhältnisse von größter Bedeutung sind, unerlässlich ist. Kreditinstitute mit einem hohen NPS sind in der Lage, ihre Kunden besser zu halten und neue Kunden durch Empfehlungen zu gewinnen, was langfristig zu einem stabilen Wachstum führt. Darüber hinaus können Banken den NPS nutzen, um gezielt in die Verbesserung ihrer Dienstleistungen zu investieren. Durch die Analyse der Gründe für hohe oder niedrige Bewertungen können sie spezifische Probleme identifizieren und angehen. Dies führt zu einer verbesserten Kundenerfahrung und stärkt die Kundenbindung weiter.

 

Grafik Potenzialvernachlässigung

Tue Gutes – und keiner spricht darüber

In der Bankenbranche ist es auffallend, dass Weiterempfehlungen durch Kunden relativ selten stattfinden, obwohl viele Kunden bei der Erhebung des Net Promoter Score als Promotoren identifiziert werden. Eine repräsentative Umfrage mit 2.000 Personen im deutschsprachigen Raum verdeutlicht dieses Phänomen. Betrachtet man zunächst den NPS je Bankengruppe, so fällt auf, dass traditionelle Filialbanken mit einem NPS von -2,4 % schlechter abschneiden als ihre digitalen Konkurrenten (NPS = 13,5 %). Betrachtet man nun nur die Promotoren, also die Personengruppe, welche mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ihre Hausbank weiterempfehlen würden, kommt der beschriebene Effekt zum Tragen. Nur rund ein Drittel (32 %) haben ihre Hausbank in der Vergangenheit tatsächlich weiterempfohlen, obwohl sie grundsätzlich überzeugt sind.

Eine der Hauptursachen dafür könnte darin liegen, dass Bankdienstleistungen oft als alltäglich und wenig emotional wahrgenommen werden. Im Gegensatz dazu stehen Unternehmen wie Apple oder Tesla, die Produkte anbieten, die starke emotionale Reaktionen hervorrufen und begeisterte Fans generieren. Ein neues iPhone oder ein Tesla-Fahrzeug sind Statussymbole und Lifestyle-Produkte, die nicht nur praktische Funktionen erfüllen, sondern auch ein starkes Identifikationspotenzial bieten. Kunden dieser Unternehmen sind oft leidenschaftlich und teilen ihre positiven Erfahrungen gerne in sozialen Netzwerken und in ihrem persönlichen Umfeld. Bankdienstleistungen hingegen sind oft notwendige, aber wenig aufregende Aspekte des täglichen Lebens. Ein Girokonto, ein Sparbuch oder eine Immobilienfinanzierung sind für die meisten Menschen keine Themen, über die sie leidenschaftlich sprechen oder die sie stolz in sozialen Medien präsentieren. Selbst wenn eine Bank herausragenden Service bietet oder besonders günstige Konditionen hat, fehlt oft der emotionale Anreiz, diese Erfahrungen aktiv weiterzugeben.

Dies führt dazu, dass ein enormes Potenzial vernachlässigt wird. Die vorhandenen Promotoren stellen eine wertvolle – aber bislang nahezu ungenutzte – Ressource dar, um das Neukundengeschäft zu optimieren. Die finanziellen Folgen dieser Vernachlässigung sind erheblich. Zum einen entgeht den Banken die Möglichkeit, durch kostengünstige, organische Werbung – also Mundpropaganda – neue Kunden zu gewinnen. Von Bestandskunden geworbene Neukunden haben oft eine höhere Loyalität und eine längere Kundenlebensdauer, da sie auf Basis positiver Erfahrungen anderer Kunden zur Bank gekommen sind. Dies führt zu einer höheren Rentabilität pro Kunde und verringert die Abwanderungsrate. Zum anderen könnten Banken durch die Aktivierung ihrer Promotoren die Akquisitionskosten für neue Kunden deutlich senken. Klassische Werbemaßnahmen wie TV-Spots, Online-Werbung oder Plakatkampagnen sind oft kostspielig und fallweise weniger effektiv als persönliche Empfehlungen. Eine gezielte Empfehlungsstrategie könnte also zu einer Reduktion der Marketingkosten führen und gleichzeitig die Effizienz der Kundenakquise steigern. Ein weiterer finanzieller Vorteil ergibt sich aus der stärkeren Kundenbindung. Promotoren, die aktiv als Botschafter ihrer Bank fungieren, sind in der Regel loyaler und nutzen häufiger weitere Dienstleistungen der Bank. Dies führt zu Cross-Selling-Möglichkeiten und einem höheren Umsatz pro Kunde. Indem Kreditinstitute ihre Promotoren stärker einbinden, können sie die Kundenbindung erhöhen und gleichzeitig den Kundenertragswert (sog. Lifetime Value) steigern. Um dieses Potenzial zu erschließen, müssen Banken gezielte Strategien entwickeln.

Grafik NPS und tatsächliche Weiterempfehlung

Begeisterungsfaktoren zur Steigerung der Weiterempfehlungsrate

Um Kundenzufriedenheit und Weiterempfehlungsrate zu steigern, ist es wichtig, die verschiedenen Faktoren zu verstehen, die zur Kundenzufriedenheit beitragen. Diese lassen sich in drei Kategorien unterteilen: Hygienefaktoren, Leistungsfaktoren und Begeisterungsfaktoren.

  • Hygienefaktoren sind die grundlegenden Erwartungen, die Kunden an eine Bank haben. Dazu gehören Aspekte wie die Zuverlässigkeit der Dienstleistungen, Sicherheitsmaßnahmen, Erreichbarkeit und die Grundfreundlichkeit des Personals. Hygienefaktoren allein führen selten zu Begeisterung oder Weiterempfehlungen, da Kunden diese als selbstverständlich ansehen. Werden sie jedoch nicht erfüllt, kann dies zu Unzufriedenheit und Abwanderung führen.
  • Leistungsfaktoren sind jene Merkmale, die über die grundlegenden Erwartungen hinausgehen und aktiv zur Zufriedenheit beitragen. Sie umfassen z.B. kompetente Beratung, schnelle Abwicklung von Anfragen, attraktive Konditionen und Zusatzleistungen wie eine benutzerfreundliche Online-Banking-Plattform. Diese Fak­toren erhöhen die Zufriedenheit, doch auch sie allein sind meist nicht ausreichend, um Kunden zu begeisterten Botschaftern zu machen.
  • Begeisterungsfaktoren hingegen sind jene Elemente, die Kunden positiv überraschen und emotional ansprechen. Sie gehen weit über die üblichen Erwartungen hinaus und schaffen einzigartige Erlebnisse. In der Bankenbranche könnten dies personalisierte Finanzberatung, exklusive Veranstaltungen, innovative digitale Services oder ein außergewöhnlich hoher Grad an Individualisierung sein.

Die Emotionalisierung durch Begeisterung ist der Schlüssel zur Erhöhung von Kundenzufriedenheit und Weiterempfehlungsaktivität. Wenn Kunden von den Leistungen ihrer Bank begeistert sind und diese Begeisterung emotional erleben, neigen sie viel stärker dazu, diese positiven Erfahrungen mit Freunden und Bekannten zu teilen. Diese emotionale Bindung ist entscheidend, da sie das Verhalten der Kunden nachhaltig beeinflusst und sie zu aktiven Botschaftern der Bank machen kann.

Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass Begeisterungsfaktoren im Laufe der Zeit zu Hygienefaktoren werden können. Ein Beispiel hierfür ist der Touchscreen bei Smartphones. Was einst eine innovative und begeisternde Neuerung war, ist heute ein Standardmerkmal, das jeder Nutzer erwartet. Ähnlich verhält es sich in der Bankenbranche: Was heute als außergewöhnlicher Service wahrgenommen wird, könnte morgen als selbstverständlich angesehen werden. Deshalb müssen sich Banken kontinuierlich weiterentwickeln und immer wieder neue Begeisterungsfaktoren schaffen. Innovation und Kundenzentrierung sind hierbei entscheidend. Kreditinstitute sollten nach jedem Gespräch Kunden kurz nach ihrer Meinung fragen und den NPS erheben. Diese kontinuierliche Rückmeldung ist effektiver als eine einzige, umfassende Befragung, da sie Pro­bleme schneller erkennt und löst, was die Kundenzufriedenheit und -bindung stärkt. Entgegen der bestehenden Meinung wird diese Vorgehensweise vom Kunden grundsätzlich honoriert.

Grafik Begeisterungsfaktoren

Handlungsfelder für Raiffeisenbanken

Um Promotoren zu aktiven Botschaftern zu machen, sollten sich Raiffeisenbanken auf vier zentrale Handlungsfelder konzentrieren: Produktqualität, Vertrieb, Zusatzservices und Pull-Faktoren. Die Produktqualität ist das Fundament jeder erfolgreichen Kunde-Bank-Beziehung. Raiffeisenbanken sollten sicherstellen, dass ihre Finanzprodukte nicht nur funktional und zuverlässig sind, sondern auch durch innovative und kundenorientierte Eigenschaften hervorstechen. Daneben sind hochmotivierte und top-ausgebildete Mitarbeiter in den Vertriebseinheiten essenziell, um Kunden kompetent und individuell zu betreuen. Regelmäßige Weiterbildungsprogramme und Schulungen stellen sicher, dass das Vertriebsteam stets auf dem neuesten Stand und in der Lage ist, Kunden optimal zu beraten. Dies führt zu einer starken Bindung und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Kunden die Bank weiterempfehlen. Außerdem sind Zusatzservices ein wichtiger Differenzierungsfaktor, der über die Grundanforderungen hinausgeht und Kunden positiv überrascht. Zuletzt ist die Kundenansprache mit zielgruppenorientierten Pull-Faktoren entscheidend, um Promotoren zu aktiven Empfehlern zu machen. Raiffeisenbanken sollten gezielte Maßnahmen entwickeln, die diese Kundengruppe ansprechen und motivieren. Dies können exklusive Angebote oder Events sein, die speziell auf die Bedürfnisse und Interessen der Promotoren zugeschnitten sind.

Einbindung des NPS in die Gesamtstrategie

Die erfolgreiche Steigerung der Weiterempfehlungsrate erfordert die Integration des Net Promoter Score in das Zielsystem und die Gesamtstrategie der Bank. Der NPS sollte als zentraler Key Performance Indicator (KPI) in die sog. Balanced Scorecard und die Zielvereinbarungen der Mitarbeiter aufgenommen werden, um deren Engagement für die Kundenzufriedenheit zu fördern. Regelmäßige Erfassungen und Auswertungen des NPS ermöglichen es, spezifische Maßnahmen zur Verbesserung der Kundenerfahrung zu entwickeln. Die Strategie muss mit den langfristigen Zielen der Bank abgestimmt sein, was eine enge Zusammenarbeit zwischen Marketing, Vertrieb und Kundenservice erfordert. Kundenbindungsprogramme und personalisierte Marketingkampagnen sollten in die Gesamtstrategie integriert werden.

Ein Strategieworkshop kann dabei helfen, die Implementierung zu strukturieren, beginnend mit der Definition der Ziele und Maßnahmen. Ein interdisziplinäres Projektteam sollte die Umsetzung begleiten, um sicherzustellen, dass alle relevanten Aspekte berücksichtigt werden. Durch diese systematische Einbindung und strategische Verknüpfung kann die Bank die Kundenzufriedenheit und -loyalität erhöhen und langfristig von einer höheren Weiterempfehlungsrate profitieren.

Dr. Jens Kleine ist Professor für Bankmanagement und Finanzwirtschaft am CFin – Research Center for Financial Services München.
Dr. Thomas Jürgenschellert ist Manager am CFin – Research Center for Financial Services München.

01.08.2024 - Sonstiges