Gesetzgeber beschließt neue Verbandsklage

Mag. Marina Wachter, Heft 9/2024

Mit dem Inkrafttreten der Verbandsklagen-Richtlinie-Umsetzungs-Novelle (VRUN) Mitte Juli 2024 hat der österreichische Gesetzgeber neue Möglichkeiten im Bereich der kollektiven Rechtsverfolgung geschaffen. Diese Novelle setzt die EU-Richtlinie 2020/1828 über Verbandsklagen mit dem Ziel um, die kollektiven Interessen von Verbrauchern besser zu schützen und insbesondere neben Verbandsklagen auf Unterlassung auch Verbandsklagen auf Abhilfe zu ermöglichen. In diesem Artikel sollen die wesentlichen Inhalte der VRUN dargestellt werden.

Zu Beginn soll noch kurz ein Blick auf die Hintergründe des Entstehungsprozesses der EU-Verbandsklagen-Richtlinie geworfen werden.

Hintergrund

Das Fehlen von wirksamen Mitteln zur Durchsetzung von Verbraucherrechten in der Europä­ischen Union kann zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen gesetzestreuen und nicht gesetzestreuen Unternehmern und damit zu Störungen des Binnenmarktes führen. 

Steiner

Dies könnte wiederum das Vertrauen der Verbraucher und Unternehmer in den Binnenmarkt beeinträchtigen. Dem will die Richtline (EU) 2020/1828 über Verbandsklagen entgegenwirken und sicherstellen, dass die Mitgliedstaaten wirksame prozessuale Mittel zur Verfügung stellen, um unerlaubte Praktiken von Unternehmern zu beenden, die die Interessen einer großen Anzahl von Verbrauchern bedrohen oder schädigen (Verbandsklage auf Unterlassung). Überdies sieht dieses Regelwerk vor, dass die Mitgliedstaaten in derartigen Konstellationen auch die Möglichkeit schaffen müssen, dass Abhilfe eingeklagt werden kann (Verbandsklage auf Abhilfe). Erfasst sind sowohl innerstaatliche als auch grenzüberschreitende Verstöße, insbesondere, wenn die von einem Rechtsverstoß betroffenen Verbraucher in einem anderen Mitgliedstaat leben als dem Mitgliedstaat, in dem der zuwiderhandelnde Unternehmer niedergelassen ist.

Die Verbandsklagen-Richtlinie-Umsetzungs-Novelle (VRUN) setzt nun – wenn auch verspätet – die Verbandsklagen-Richtline in Österreich um.  Ein wesentlicher Bestandteil der VRUN ist die Einführung von sog. Qualifizierten Einrichtungen, die befugt sind, im Interesse der Verbraucher die Verbandsklagen zu führen.

Qualifizierte Einrichtungen (QE)

Juristische Personen, die seit mindestens 12 Monaten zum Schutz von Verbraucherinteressen öffentlich tätig sind und keinen Erwerbszweck verfolgen, können auf ihren Antrag hin als QE anerkannt werden. Die antragstellende Einrichtung darf nicht insolvent und über ihr Vermögen kein Insolvenzverfahren eröffnet worden sein. Darüberhinausgehend darf ihre finanzielle Situation nicht im Anerkennungsverfahren berücksichtigt werden. Lediglich die Quellen der Finanzierung müssen veröffentlicht werden.

Die Einrichtung muss zudem unabhängig sein, darf also nicht unter dem Einfluss von Personen stehen, die ein wirtschaftliches Interesse an der Erhebung einer Verbandsklage haben. Besonderes Augenmerk ist hier auf eine mögliche Einflussnahme durch Unternehmen bzw. Prozessfinanzierer zu legen. Die antragstellende Einrichtung muss über entsprechende Verfahren verfügen, die eine solche Einflussnahme sowie Interessenskonflikte zwischen ihr, ihren Finanzierern und Verbraucherinteressen verhindern.

Weiters ist verlangt, dass die Einrichtung auf ihrer Website Angaben zur Einhaltung der genannten Kriterien macht, die Quellen ihrer Finanzierung im Allgemeinen sowie zur Organisations-, Management- und Mitgliederstruktur darlegt. Ebenfalls auf der Website offenzulegen sind der Satzungszweck und die Tätigkeit der Einrichtung.

Wenn die antragstellende Einrichtung nicht nur als QE für grenzüberschreitende Verbandsklagen anerkannt werden möchte, sondern auch für inländische Verbandsklagen, muss sie noch weitere Kriterien erfüllen. Diese sollen sicherstellen, dass sie die notwendige Kompetenz und Erfahrung hat (sie dienen somit der Qualitätssicherung) und dass nicht mehr als 20% der finanziellen Mittel durch unentgeltliche finanzielle Zuwendungen von Unternehmern (wie Spenden und Schenkungen) bezogen werden dürfen (dies dient also der Absicherung der Unabhängigkeit der Einrichtung). Anzumerken ist hier, dass Deutschland in seinem nationalen Umsetzungsgesetz eine deutlich niedrigere Grenze – nämlich 5 % – eingezogen hat. Der österreichische Gesetzgeber hat hier einen anderen Weg beschritten.

Die Anerkennung als QE erfolgt per Bescheid durch den Bundeskartellanwalt, dem auch die Aufsicht und die regelmäßige Überprüfung der Kriterien obliegt. Es gibt auch QE, die von Gesetzes wegen anerkannt sind und daher kein Anerkennungsverfahren durchlaufen müssen und im Gesetz ausdrücklich genannt sind.

Verbandsklage auf Unterlassung

Die Unterlassungsklage ist darauf gerichtet, dass Verstöße, die die kollektiven Interessen von Verbrauchern beeinträchtigen oder drohen zu beeinträchtigen, untersagt werden (zB ein Unternehmer verwendet im Massengeschäft eine sittenwidrige AGB-Klausel und dies soll untersagt werden).

In diesem Verfahren ist kein Beitritt von Verbrauchern vorgesehen. Es soll aber jedem Verbraucher, der von diesem Verstoß betroffen ist und daraus einen Anspruch gegen den Unternehmer (zB auf Refundierung von Gebühren) behauptet, zugutekommen, dass sein Anspruch während des Verfahrens auf Unterlassung nicht verjähren kann. Er hat sogar nach der rechtskräftigen Beendigung des Unterlassungsverfahrens jedenfalls noch eine Frist von 6 Monaten, um seinen Anspruch geltend zu machen. Diese Hemmung der Verjährung soll ihm die ordnungsgemäße und sorgfältige Vorbereitung einer eigenen Klage bzw. den Beitritt zu einer Verbandsklage auf Abhilfe ermöglichen.

Es ist daher wichtig, dass in der Verbandsklage auf Unterlassung hinreichende Angaben zum Kreis der betroffenen Verbraucher gemacht werden. Nur dann kann später beurteilt werden, ob sich ein Verbraucher zu Recht auf die Hemmung der Verjährung seines Anspruches beruft.

Verbandsklage auf Abhilfe

Die Verbandsklage auf Abhilfe ist neu und erfordert ein völlig neues Verfahrenskonzept. Die Bestimmungen der VRUN ermöglichen es einer QE, mittels Klage gegen einen Unternehmer vorzugehen, wenn durch seine Rechtsverletzung bei konkreten Verbrauchern Ansprüche auf Abhilfe (zB Anspruch auf Preisminderung, Anspruch auf Rückerstattung) entstanden sind. Dies jedoch nur unter der Voraussetzung, dass bereits mindestens 50 solcher Ansprüche bestehen und diese Ansprüche einen gemeinsamen Kern haben. Partei und Träger des Abhilfeverfahrens ist also die QE. Sie kann Leistungsansprüche für alle Verbraucher, die der Klage beitreten (sog. Opt-in Verfahren), geltend machen.

Grundsätzlich kann einer Verbandsklage auf Abhilfe jeder Verbraucher beitreten, dessen Anspruch auf einem im Wesentlichen gleichgelagerten Sachverhalt beruht und für den dieselben Tatfragen entscheidungserheblich sind. Anzumerken ist aber, dass der Beitritt gänzlich über die QE erfolgt. Diese entscheidet, ob sie den einzelnen Verbraucher vertreten möchte und unter welchen Bedingungen (zB geringe Beitrittsgebühr, Abschluss eines Vertrages mit einem Drittfinanzierer). Sie könnte auch ohne Begründung eine Ablehnung vornehmen. Der Beitritt erfolgt schließlich durch Schriftsatz der QE an das Gericht.

Zunächst verhandelt und entscheidet das Gericht darüber, ob die allgemeinen und besonderen Voraussetzungen für das Verbandsverfahren auf Abhilfe erfüllt sind. Hintergrund ist, dass von Beginn an feststehen soll, ob ein solches Verfahren zulässig ist. Entweder wird die Klage zurückgewiesen oder es wird mit Beschluss angeordnet, dass das Verfahren durchzuführen ist.

Dieser Durchführungsbeschluss ist mit zusätzlichen Angaben, die weiteren betroffenen Verbrauchern den Beitritt ermöglichen sollen, in der Ediktsdatei für vier Monate zu veröffentlichen. Verbraucher können nun bis zu 3 Monate nach dieser Veröffentlichung dem Verfahren beitreten (siehe dazu oben).

Um das Verfahren effizient zu führen, die Gemeinsamkeiten zwischen den Fällen zuerst rechtlich beurteilen zu können und erst dann auf die individuellen Aspekte der Ansprüche einzugehen, besteht die Möglichkeit, dass die QE (oder auch das beklagte Unternehmen) einen Zwischenfeststellungsantrag stellt. Dieser zielt darauf ab, dass ein Recht/Rechtsverhältnis geklärt wird, von dessen Bestehen die Entscheidung des Rechtsstreites ganz oder teilweise abhängt und das alle beigetretenen Verbraucher in derselben Weise betrifft.

Im dritten Verfahrensabschnitt entscheidet das Gericht schließlich über die einzelnen Ansprüche der Verbraucher.

Auch bei der Verbandsklage auf Abhilfe gibt es eine Sonderbestimmung zur Verjährung, die sicherstellt, dass ein Anspruch des Verbrauchers nicht während des Verfahrens verjährt, sofern er rechtzeitig (also spätestens bis drei Monate nach Veröffentlichung des Durchführungsbeschlusses) beitritt. Diese sog. Hemmung der Verjährung wirkt sogar zurück auf den Zeitpunkt der Einbringung der Verbandsklage bei Gericht. Sollte es zur Zurückweisung der Klage kommen, bleibt die Verjährung gehemmt und dem Verbraucher bleiben jedenfalls noch drei Monate, um selbst Klage einzubringen.

Das Verbandsverfahren könnte auch durch einen Vergleich zwischen QE und Unternehmer beendet werden. Hier ist aber die Besonderheit zu berücksichtigen, dass dieser nur dann wirksam wird, wenn das Gericht ihn bestätigt. Das Gericht darf die Bestätigung nur dann erteilen, wenn der Vergleich nicht in Widerspruch zu zwingenden Bestimmungen des nationalen Rechtes steht und keine Bestimmungen enthält, die nicht vollstreckbar sind. Ein gerichtlich bestätigter Vergleich bindet dann auch die beigetretenen Verbraucher.

Bei der Gerichtsentscheidung in Verbandsverfahren auf Abhilfe gibt es eine weitere Besonderheit. Grundsätzlich wird es am ehesten dem Gedanken der Abhilfe entsprechen, wenn die Gerichtsentscheidung den Unternehmer zur Leistung an den einzelnen Verbraucher selbst verpflichtet. Es kann aber Konstellationen geben, in denen es effizienter ist, dass (ganz oder auch nur teilweise) an die QE geleistet wird (zB wenn eine Prozessfinanzierung besteht). Daher kann das Gericht auf Antrag der QE aussprechen, dass der Unternehmer mit schuldbefreiender Wirkung (ganz oder teilweise) nur an die QE leisten kann.

Drittfinanzierung

Es wird vom Gesetzgeber ausdrücklich klargestellt, dass die Drittfinanzierung zulässig ist. Die konkrete Ausgestaltung des Vertrages zwischen QE und Drittfinanzierer obliegt der Privatautonomie und es gibt dazu keine besonderen Vorschriften. Nimmt eine QE für eine konkrete Verbandsklage eine Drittfinanzierung in Anspruch, so hat sie das dem Gericht mitzuteilen. Den Prozessfinanzierungsvertrag selbst oder dessen Inhalt hat sie aber nur dem Bundeskartellanwalt als Aufsichtsbehörde in einem eigenen Verfahren vorzulegen.

Wichtig ist, dass die Einflussnahme des Drittfinanzierers nicht über das schon allein aus der Drittfinanzierung resultierende finanzielle Interesse hinausgeht. Zusätzlich ist auch immer eine Abwägung zwischen den wirtschaftlichen Interessen des Drittfinanzierers und den Interessen der dem Verfahren beitretenden Verbraucher vorzunehmen. Der Schutz der kollektiven Verbraucherinteressen darf nicht aus dem Fokus geraten.

Der Drittfinanzierer darf weder im Wettbewerb mit dem beklagten Unternehmen stehen noch von diesem wirtschaftlich oder rechtlich abhängig sein.

Informations- und Berichtspflichten

QE haben umfangreiche Informations- und Berichtspflichten über ihre Websites zu erfüllen. Besonders sei hier hervorgehoben, dass sie auch auf diesem Wege zu veröffentlichen haben, gegen welchen Unternehmer, welche Verbandsklage geplant und anhängig ist.

Schlussbemerkungen

Die VRUN dürfte derzeit durchaus unterschiedlich beurteilt werden. Den Konsumentenschützern geht sie nicht weit genug, die Unternehmer hätten hingegen gerne gesehen, dass insbesondere der zeitliche und sachliche Anwendungsbereich beschränkt wird (also kein Aufgreifen von „Altfällen“ und Einschränkung auf bestimmte Rechtsverletzungen) sowie dass die Kommerzialisierung der Prozessfinanzierung durch die Festlegung einer prozentuellen Obergrenze für die Vergütung von Prozessfinanzierern (wie in Deutschland) ausgeschlossen wird.

Ob sich die neuen Möglichkeiten der kollektiven Rechtsverfolgung in der Praxis bewähren, bleibt abzuwarten.

Mag. Marina Wachter ist Mitarbeiterin in der Rechtsabteilung der Raiffeisen Bank International AG (Legal Services Banking, Regulatory & Innovation) und Leiterin des RBG Gremium Recht.

01.10.2024 - Sonstiges