EU-Lieferkettengesetz beschlossen
Leah Bryson, MSc, Priv.-Doz. Dr. Alexander Schiebel (Heft 6/2024)
Taxonomie-VO, CSRD, ESRS, CSDDD – in der Nachhaltigkeitswelt reiht sich gerade eine Veröffentlichung an die nächste. Bis dato hat jedoch nur die CSDDD (Corporate Sustainability Due Dilligence Directive) – oder leichter, das EU-Lieferkettengesetz – die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit erreicht. Mehrere Tageszeitungen veröffentlichten Artikel und der TV-Sender „Arte“ produzierte sogar eine Dokumentation. Was hat es also auf sich mit dieser breit diskutierten, neuen Richtlinie?
Am 24. April 2024 stimmte das Europäische Parlament der nach monatelangen, kontroversen Debatten erzielten Kompromissfassung, mit deutlich geringerem Anwenderkreis als ursprünglich vorgesehen, zu. Während die meisten Mitgliedstaaten die Richtlinie neu in ihr nationales Gesetz transformieren müssen, gibt es in Frankreich (2017), den Niederlanden (2022) und Deutschland (2023) bereits nationale Lieferkettengesetze, die nun einer Anpassung bedürfen.
Ebenso wie die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung ist auch die CSDDD Teil des European Green Deal. Die beiden Richtlinien sollen dazu beitragen, die EU bis 2050 zur Klimaneutralität zu führen und im Zuge dessen das Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens, nicht mehr als 1,5°C Erderwärmung zu erreichen. Neben der Eindämmung negativer Auswirkungen auf die Umwelt beschäftigen sich diese Regularien auch mit menschenrechtlichen Auswirkungen.
Im Gegensatz zur CSRD und der Taxonomie-Verordnung, welche ausschließlich Offenlegungsverordnungen sind, verlangt die CSDDD zum ersten Mal klare Umsetzungsmaßnahmen von Unternehmen, und zwar zur menschenrechtlichen und ökologischen Sorgfaltspflicht in ihrer Aktivitätskette. Sollte es diesbezügliche Verletzungen geben, wird die Aufdeckung, Behebung sowie Prävention in Zukunft entlang der gesamten Aktivitätskette anfallen.
Betroffene Unternehmen
Anzuwenden ist die Richtlinie ab 2029 von Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden und einem globalen Nettojahresumsatz über 450 Mio. Euro. Inkludiert sind unter gewissen Voraussetzungen auch Drittstaaten- sowie Franchise-Unternehmen. Bereits 2027 ist sie von Unternehmen mit mehr als 5.000 Mitarbeitenden und einem globalen Nettojahresumsatz von 1,5 Mrd. Euro anzuwenden; 2028 von Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden und einem globalen Nettojahresumsatz von 900 Mio. Euro.
Auch Unternehmen, die aufgrund ihrer Größe nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, können indirekt betroffen sein. Nämlich dann, wenn sie Teil der Aktivitätskette eines direkt betroffenen Unternehmens sind.
Aktivitätskette
Zu analysieren und kontrollieren ist insbesondere die sogenannte Aktivitätskette. Diese wird in der CSDDD in vorgelagerte und nachgelagerte Tätigkeiten getrennt:
- „Tätigkeiten der vorgelagerten Geschäftspartner eines Unternehmens im Zusammenhang mit der Produktion von Waren oder der Erbringung von Dienstleistungen durch dieses Unternehmen, einschließlich der Entwicklung, Gewinnung, Beschaffung, Herstellung, Beförderung, Lagerung und Lieferung von Rohstoffen, Produkten oder Teilen von Produkten und der Entwicklung des Produkts oder der Dienstleistung“;
- „Tätigkeiten der nachgelagerten Geschäftspartner eines Unternehmens im Zusammenhang mit dem Vertrieb, der Beförderung und der Lagerung eines Produkts dieses Unternehmens, sofern die Geschäftspartner diese Tätigkeiten für das Unternehmen oder im Namen des Unternehmens ausüben; […]“.
Zu den Geschäftspartner:innen werden folgende Einrichtungen gezählt:
- „Einrichtung, mit der das Unternehmen eine Geschäftsvereinbarung über die Tätigkeiten, Produkte oder Dienstleistungen des Unternehmens geschlossen hat oder für die das Unternehmen [...] Dienstleistungen erbringt (‚direkter Geschäftspartner‘)“;
- „Einrichtung, die kein direkter Geschäftspartner ist, die jedoch mit den Tätigkeiten, Produkten oder Dienstleistungen des Unternehmens zusammenhängende Geschäftstätigkeiten ausübt (‚indirekter Geschäftspartner‘)“.
Besonderheiten für Finanzunternehmen
Bis zuletzt intensiv diskutiert wurde, ob und auf welche Art Finanzunternehmen in die Richtlinie inkludiert werden. In der nun vorliegenden Endfassung werden Finanzunternehmen erfasst, die menschenrechtlichen und ökologischen Sorgfaltsverpflichtungen betreffen jedoch nur ihre vorgelagerte Aktivitätskette. Innerhalb der nächsten zwei Jahre hat die Kommission zu prüfen, ob diese reduzierten Sorgfaltspflichten für Finanzunternehmen angemessen sind, oder ob sie angepasst werden sollen. Auch die Einführung zusätzlicher spezifischer Regeln für Finanzunternehmen ist möglich.
Welche Geschäftstätigkeiten zur vorgelagerten Aktivitätskette von Banken zählen und somit erfasst sein werden, wird in der Richtlinie nicht beantwortet. Erwägungsgrund 25 der RL hält fest, dass die „Bestimmung des Begriffs ‚Aktivitätskette‘ [...] die Bestimmung der Begriffe ‚Wertschöpfungskette‘ oder ‚Lieferkette‘ gemäß den bzw. im Sinne der anderen EU-Rechtsvorschriften unberührt“ lässt. Analogien zu Definitionen anderer Rechtsakte lassen sich folglich schwer ziehen.
Der Terminus „Wertschöpfungskette“ fand sich anfangs ohne nähere Definition in der CSRD; später wurde er durch die Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (European Sustainability Reporting Standards, ESRS) erläutert und derzeit arbeitet die Europäische Beratungsgruppe zur Rechnungslegung (European Financial Reporting Advisory Group, EFRAG) an finalen Umsetzungsleitlinien zur Wertschöpfungskette. Trotz dieser im Gegensatz zur CSDDD bereits fortgeschrittenen Auslegungs- und Definitionsphase sind im Rahmen der CSRD viele Fragen in Verbindung mit der Wertschöpfungskette noch unbeantwortet. Die Praxis für Finanzunternehmen blickt auf die Veröffentlichung des sektorspezifischen Banken-ESRS, welche erst in ein paar Jahren erwartet wird.
Gemäß Artikel 16 der CSDDD gibt die Kommission in Abstimmung mit den Mitgliedstaaten, diversen Agenturen und Interessenträgern „Leitlinien – einschließlich allgemeiner Leitlinien und Leitlinien für bestimmte Branchen oder in Bezug auf spezifische negative Auswirkungen – heraus, um die Unternehmen bei der Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten oder die Behörden der Mitgliedstaaten bei der Bewertung, wie Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten erfüllen, in der Praxis zu unterstützen und um die Interessenträger zu unterstützen“. Diese Leitlinien müssen 2,5 bis 3 Jahre nach dem Inkrafttreten der CSDDD vorliegen. Nach unserem Verständnis wird die nähere Präzisierung der vorgelagerten Aktivitätskette bei Finanzunternehmen im Rahmen der Branchenleitlinien erfolgen müssen.
Sorgfaltspflichten von Unternehmen
Die entlang der Aktivitätskette einzuhaltenden Sorgfaltspflichten bestehen aus folgenden acht Schritten:
1. Inkludierung der Sorgfaltspflichten in die Unternehmenspolitik und Risikomanagementsysteme (inkl. Ausarbeitung eines Verhaltenskodex);
2. Identifizierung, Bewertung und ggf. Priorisierung tatsächlicher sowie potenzieller negativer Auswirkungen;
3. Vermeidung bzw. Minderung potenzieller negativer Auswirkungen (Entwicklung von Präventions- und Korrekturmaßnahmenplänen);
4. Durchführung von Abhilfemaßnahmen bei tatsächlichen negativen Auswirkungen (keine Pflicht bei Verursachung durch Geschäftspartner:innen);
5. Einbeziehung von Stakeholdern bei der Risikoanalyse (Punkt 2), Maßnahmenanwendung (Punkte 3-4) und Wirksamkeitsbewertung (Punkt 7);
6. Etablierung eines Melde- bzw. Beschwerdeverfahrens;
7. Überwachung sowie risikobasierte Evaluierung (mind. jährlich) der Wirksamkeit der etablierten Strategien und Maßnahmen;
8. Berichterstattung (mind. jährlich) über die Umsetzung der Sorgfaltspflichten: Diese Berichterstattung erfolgt entweder in der Nachhaltigkeitserklärung gemäß CSRD oder auf der Unternehmenswebsite, sollte keine CSRD-Pflicht bestehen. Details werden bis 31.03.2027 in delegierten Rechtsakten definiert.
Die von der Kommission zu erstellenden Leitlinien zur CSDDD sollen auch auf Sektorspezifika eingehen und unter anderem das Ermittlungsverfahren (potenzieller) negativer Auswirkungen, geeignete und verantwortungsvolle (Abhilfe-)Maßnahmen, Melde- bzw. Beschwerdemechanismen sowie die Einbeziehung der Stakeholder genauer definieren.
Klimatransformationsplan
Neben der Etablierung sowie Einhaltung und Überwachung von Sorgfaltspflichten bezüglich potenzieller oder tatsächlicher negativer Auswirkungen beinhaltet die CSDDD noch eine weitere zentrale Anforderung. Unternehmen müssen einen Klimatransformationsplan (Plan zur Minderung der Folgen des Klimawandels) erstellen und umsetzen. Dieser soll sicherstellen, dass ihr Geschäftsmodell sowie ihre Strategie im Einklang mit dem Pariser Klimaschutzübereinkommen (Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5°C) stehen.
Dieser Plan muss zeitgebundene Zielvorgaben und konkrete Maßnahmen zur Erreichung des Klimaneutralitätsziels 2050, zu Investitionsausgaben zur Umsetzung dieses Plans und ggf. zur Reduzierung der Beteiligung an Tätigkeiten im Zusammenhang mit Kohle, Öl und Gas enthalten. Der Plan deckt sich jedoch mit dem sogenannten Übergangsplan, der im sog. ESRS E1-1 (Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung) freiwillig vorgesehen ist. Hat ein Unternehmen diesen freiwilligen Übergangsplan bereits erstellt, entfällt eine Pflichterfüllung im Rahmen der CSDDD.
Kontrolle und Sanktionen
Für die Überprüfung der Einhaltung der CSDDD werden von den Mitgliedstaaten zu benennende Aufsichtsbehörden zuständig sein. Sollten Verstöße festgestellt werden, muss den Unternehmen eine angemessene Frist gewährt werden, Abhilfe zu schaffen. Jedoch schließt auch die Umsetzung dieser Abhilfemaßnahmen verwaltungsrechtliche Sanktionen sowie eine zivilrechtliche Haftung nicht aus.
Die Regelung der verwaltungsrechtlichen Sanktionshöhe obliegt der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten, sie müssen jedoch als Höchststrafe mindestens 5 % des weltweiten Nettoumsatzes des Unternehmens vorsehen. Die Strafe könnte in einzelnen Staaten daher auch mehr als 5 % sein. Sanktionen können von den Aufsichtsbehörden mindestens fünf Jahre lang öffentlich zugänglich kommuniziert werden („naming and shaming“).
Eine zivilrechtliche Haftung greift, wenn ein Unternehmen vorsätzlich oder fahrlässig seiner Pflicht, potenzielle negative Auswirkungen zu vermeiden (Präventionsmaßnahmen, Punkt 3) oder tatsächliche negative Auswirkungen zu beenden und Abhilfemaßnahmen zu ergreifen (Punkt 4) nicht zu genüge nachgekommen ist und dadurch Schäden für natürliche oder juristische Personen entstanden sind. Verstöße gegen andere Vorschriften der Richtlinie (z.B. Klimatransformationsplan) werden somit nicht erfasst. Eine weitere Einschränkung der zivilrechtlichen Haftung stellt die Tatsache dar, dass ein Unternehmen nicht für Schäden haftbar gemacht werden kann, die ausschließlich durch Geschäftspartner:innen verursacht wurden. Die Höhe des Schadenersatzes hängt von der nationalen Rechtsordnung ab, grundsätzlich muss der gesamte Schaden entschädigt werden.
Fazit
Wie bei allen regulatorischen Anforderungen, wird auch die erstmalige Umsetzung der Sorgfaltspflichten und die Erstellung des Klimatransformationsplans eine initiale personelle sowie finanzielle Herausforderung sein. Die künftigen delegierten Rechtsakte und Leitfäden der Kommission müssen noch viele offene Fragen beantworten. Von diesen Kommissionsveröffentlichungen wird auch die Art der erstmaligen Anwendung der Sorgfaltspflichten sowie die Erstellung des Klimatransformationsplans deutlich bestimmt werden. Dazu zählt auch der Umfang der vorgelagerten Aktivitätskette bei Finanzunternehmen.
Die CSDDD bezweckt, einen Beitrag zum Schutz von Umwelt und Mensch zu leisten und einen weiteren Schritt in Richtung Erreichung der Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu machen. Es bleibt abzuwarten, ob diese Zielsetzungen auch wirklich erreicht werden und die regulatorischen Herausforderungen positive Auswirkungen erzeugen können.
Priv.-Doz. Dr. Alexander Schiebel leitet die Abteilung Betriebswirtschaft und Bilanzierungsberatung im Österreichischen Raiffeisenverband.
Leah Bryson, MSc ist ESG-Expertin im Österreichischen Raiffeisenverband.