Erleichterungen beim Kreditvergabeverfahren an Senioren

Mag. Felix Zangerle (Heft 6/2023)

In der Praxis bestanden schon jahrelange Unklarheiten darüber, ob die im Hypothekar- und Immobilienkreditgesetz (HIKrG) vorgesehene Kreditwürdigkeitsprüfung eine Kreditvergabe auch dann zulässt, wenn auf Grund des Alters des Kreditnehmers damit gerechnet werden muss, dass der Kreditnehmer während der Vertragslaufzeit verstirbt. Die strengen gesetzlichen Vorgaben zur Kreditwürdigkeitsprüfung haben in der Vergangenheit in der Folge (zu) oft dazu geführt, dass Senioren teilweise von der Kreditvergabe ausgeschlossen waren. Mit 1. Mai 2023 trat nun eine teilweise Novellierung der Bestimmungen über die Kreditwürdigkeitsprüfung des HIKrG in Kraft. Der Novelle ging ein intensiver Austausch zwischen der österreichischen Kreditwirtschaft und anderen Stakeholdern mit der Interessenvertretung der Senioren und Vertretern der Bundesministerien für Justiz und Konsumentenschutz voraus. Die gesetzlichen Neuerungen sollen im vorliegenden Artikel näher vorgestellt werden.

 

Seidl

Ausgangslage

Das im März 2016 in Kraft getretene Hypothekar- und Immobilienkreditgesetz (HIKrG) erging aufgrund der innerstaatlichen Umsetzung der Richtlinie über Wohnimmobilienkredit­verträge für Verbraucher (RL 2014/17/EU). Ein wesentlicher Bestandteil dieses Verbraucherschutzgesetzes sind die umfangreichen und strengen Vorgaben zur Prüfung der Kredit­würdigkeit in dessen § 9. Betrachtet man das Pendant zum HIKrG, das ebenfalls auf der nationalen Umsetzung von EU-Recht basierende Verbraucherkreditgesetz (VKrG), welches in der Bankenpraxis auf „Konsumfinanzierungen“ und „Überziehungsrahmen“ anwendbar ist, stellt man fest, dass der Umfang der Vorgaben zur Prüfung der Kreditwürdigkeit im Anwendungsbereich des HIKrG ein weitaus größerer ist.

Aber auch inhaltlich gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen den beiden Gesetzesmaterien: Bei HIKrG-Krediten darf dem Verbraucher der Kredit nur dann gewährt werden, wenn aus der Kreditwürdigkeitsprüfung hervorgeht, dass es wahrscheinlich ist, dass die Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag in der gemäß diesem Vertrag vorgeschriebenen Weise erfüllt werden.

Das VKrG ist hier derzeit noch großzügiger, indem es vorgibt, dass bei Zweifeln an der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers dieser seitens der Bank auf diese Bedenken hinzuweisen ist. Es ist hier also möglich, den Kredit in Verbindung mit einem „Warnhinweis“ dennoch zu vergeben. Eine Angleichung der beiden Vorgaben an jene strengeren der Wohnimmobilienkredit-Richtlinie ist nur noch eine Frage der Zeit, zumal auf Ebene der Europä­ischen Union derzeit bereits umfangreiche Regelungen bei der Verbraucherkreditrichtlinie vor der Beschlussfassung stehen.

Kreditwürdigkeitsprüfung auf Basis des HIKrG

§ 9 HIKrG verpflichtet die Kreditinstitute, vor Abschluss eines Kreditvertrags eine eingehende Prüfung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers vorzunehmen. Dabei sind die Faktoren, die für die Prüfung der Aussichten relevant sind, dass der Verbraucher seinen Verpflichtungen aus dem Kreditvertrag nachkommt, in angemessener Form zu berücksichtigen.

In weiterer Folge konkretisiert das Gesetz insofern, dass die Kreditwürdigkeitsprüfung auf der Grundlage notwendiger, ausreichender und angemessener Informationen zu Einkommen, Ausgaben sowie anderen finanziellen und wirtschaftlichen Umständen des Verbrauchers vorzunehmen ist und die Informationen dabei aus einschlägigen internen oder externen Quellen, einschließlich des Verbrauchers, zu ermitteln sind. Die Informationen sind durch den Kreditgeber in angemessener Weise zu überprüfen, erforderlichenfalls auch durch Einsichtnahme in unabhängig nachprüfbare Unterlagen.

Dass der Wert einer etwaigen als Sicherheit zum Pfand bestellten Liegenschaft auf Ebene der Kreditwürdigkeitsprüfung im Grunde keine Beachtung finden kann, ergibt sich aus § 9 Abs. 3 HIKrG. Diese Gesetzesbestimmung gibt vor, dass sich die Kreditwürdigkeitsprüfung nicht hauptsächlich darauf stützen darf, dass der Wert der unbeweglichen Sache den Kreditbetrag übersteigt. Die Leitlinien der Europä­ischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) für die Kreditvergabe und Überwachung (EBA/GL/2020/06) konkretisieren diese Anforderung insofern, wonach Sicherheiten als nachgelagerte Option bei Ausfall oder wesentlicher Verschlechterung des Risikoprofils betrachtet werden sollen und nicht als primäre Rückzahlungsquelle. Wie in den folgenden Ausführungen noch zu zeigen sein wird, ist genau dieser Aspekt ein Teil der Begründung für die neue Rechtslage.

Wie eingangs bereits erwähnt, darf der Kredit nach Durchführung der Kreditwürdigkeitsprüfung nur dann gewährt werden, wenn sich der Verbraucher die Rückzahlung wahrscheinlich leisten kann. Eine negative Kreditwürdigkeitsprüfung bedeutet letztlich ein Verbot der Kreditvergabe, ein Zuwiderhandeln steht unter Androhung einer Verwaltungsstrafe von bis zu EUR 10.000,–.

Kreditvergabeprobleme bei älteren Kreditnehmern

Die Prüfung der Kreditwürdigkeit erfordert naturgemäß die Annahme einer Laufzeit, innerhalb welcher der Kreditnehmer den Kredit zurückzuzahlen hat. Bei älteren Kreditnehmern orientiert sich die österreichische Kreditwirtschaft dabei an der statistischen Lebenserwartung ihrer Kunden. Dass die statistische Lebenserwartung praktisch die Obergrenze der Laufzeit von Krediten darstellt, ergibt sich zwar nicht wörtlich aus dem HIKrG und auch nicht explizit aus der Wohnimmobilienkredit-Richtlinie sowie ebenfalls auch nicht aus den zu berücksichtigenden EBA-Leitlinien, ist aber zumindest in Österreich gelebte und vor allem sorgfältige Bankenpraxis.

Die österreichischen Kreditinstitute stehen daher vor der Herausforderung, die beantragte Finanzierung mit dem Einkommen und gegebenenfalls mit sonstigen vorhandenen Vermögenswerten des Kreditnehmers (mit Ausnahme der Wohnimmobilie) unter Annahme einer realistisch erlebbaren Kreditlaufzeit darzustellen. Dass derartige Finanzierungen sehr oft einer Verbesserung bzw. Sanierung des Eigenheimes dienen und sich folglich auch auf den Wert desselben positiv auswirken, machte es in der Vergangenheit umso bedauerlicher, derartigen Finanzierungswünschen bei älteren Kreditnehmern bisher nicht nachkommen zu können.

Die Neuregelung im Überblick

Der vor diesem Hintergrund novellierte § 9 Abs. 5 HIKrG beinhaltet nunmehr eine Regelung, wonach das mögliche Versterben des Verbrauchers (etwa weil es im Hinblick auf dessen Alter oder seinen Gesundheitszustand konkrete Anhaltspunkte für ein Versterben während der Kreditlaufzeit gibt) bei der Kreditwürdigkeitsprüfung unberücksichtigt bleiben kann, wenn zum einen wahrscheinlich ist, dass der Verbraucher zu Lebzeiten den jeweils fälligen Verpflichtungen, die im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag stehen, voraussichtlich vertragsgemäß nachkommen wird. Zudem muss zum anderen der Wert der unbeweglichen Sache (oder des Superädifikats oder der Wert anderer als Sicherheiten dienender Vermögenswerte) des Verbrauchers hinreichende Gewähr für die Abdeckung der im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag stehenden Verbindlichkeiten und eventuellen Verwertungskosten bieten.

In den Erläuternden Bemerkungen zur Gesetzesnovelle wird dazu begründend ausgeführt, dass die Ergänzung im Einklang mit der Wohnimmobilienkredit-Richtlinie stehe, da die mögliche Verwertung der Liegenschaft implizit Gegenstand der vertraglichen Vereinbarung sei  – sofern die Kreditlaufzeit die statistische Lebenserwartung übersteigt – und davon ausgegangen werden könne, dass die Vertragspartner die Wahrscheinlichkeit mitbedenken, dass für die Kredittilgung nach dem Tod des Kreditnehmers die als Sicherheit bestellte Liegenschaft herangezogen werden könnte. Insofern sei die Verwertung der Liegenschaft als denkbares Geschehen in die Vereinbarung einbezogen, wenngleich keine besonderen Vereinbarungen über die Verwertung der Sicherheit getroffen werden.

Die gesetzliche Klarstellung hat keinen Einfluss darauf, ob es im Fall des Ablebens des Kreditnehmers tatsächlich zur Verwertung der Liegenschaft kommt. Vielmehr können die Erben als Rechtsnachfolger des Kreditnehmers die laufende Kredittilgung fortsetzen und so eine Verwertung vermeiden.

Hierzu ist anzumerken, dass die ersten Novellierungsentwürfe ursprünglich vorsahen, dass die mögliche Verwertung der Liegenschaft Teil der vertraglichen Vereinbarung sein müsste, was auf Intervention der Kreditwirtschaft jedoch verhindert werden konnte, ist es doch bei jeder hypothekarisch besicherten Finanzierung ein mögliches Szenario, dass die Sicherheit verwertet werden muss. Dass § 9 Abs. 3 HIKrG vorsieht, dass sich die Kreditwürdigkeitsprüfung nicht hauptsächlich darauf stützen darf, dass der Wert der Immobilie den Kreditbetrag übersteigt, stehe der neuen Regelung nicht entgegen, da dies umgekehrt bedeute, dass der Wert der Immobilie als einer der Faktoren sehr wohl berücksichtigt werden dürfe. So wird dies in den Erläuternden Bemerkungen zur Novelle explizit ausgeführt.

Die Kreditwürdigkeitsprüfung muss im Ergebnis also belegen, dass der Kreditnehmer die Rückzahlungen, solange er lebt, leisten und der offenbleibende Restbetrag aus den als Sicherheiten dienenden Vermögenswerten rückgeführt werden kann. In der Praxis kommt dem Wert der Liegenschaft daher große Bedeutung zu und dieser wird ausreichen müssen, um den gesamten Kredit abzudecken, da der Zeitpunkt des Versterbens bekanntlich ungewiss ist.

Solidarkreditnehmer

Gestützt auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (OGH) aus dem Jahr 2021 ist es für eine positive Kreditwürdigkeitsprüfung ausreichend, wenn sich zwei Solidarkreditnehmer die Rückzahlung gemeinsam leisten können. Dies ergibt sich im Übrigen auch aus den bereits erwähnten Leitlinien der EBA für die Kreditvergabe und Überwachung. Zwar nicht in den Gesetzestext des neuen § 9 HIKrG, aber in den Erläuternden Bemerkungen ist auf Drängen des Konsumentenschutzministeriums, eine von der Rechtsprechung des OGH etwas abweichende Erläuterung eingeflossen: Demnach werde bei mehreren Kreditnehmern durchaus auf die Möglichkeit Bedacht zu nehmen sein, dass die laufende Kredittilgung durch einen der Kreditnehmer nicht bis zum Ende wahrscheinlich sei.

Diese Abweichung von der höchstgerichtlichen Judikatur und den EBA-Leitlinien ist wenig nachvollziehbar, obwohl es den Initiatoren dieser Ergänzung um den durchaus berechtigten Schutz des überlebenden Partners gegangen ist, der nicht auch noch aus der Wohnimmobilie delogiert werden soll.

Nehmen beide Partner den Kredit gemeinsam auf, müsste sich die Rückzahlung demnach auch jeder für sich allein leisten können. Wurde die Finanzierung jedoch nur von einem Kreditnehmer allein aufgenommen, kann die Finanzierung unter Berücksichtigung der neuen Vorgaben vergeben werden und trifft den überlebenden Partner selbiges Risiko – das des Verlustes der Wohnimmobilie. Abgesehen davon ist der mögliche Verlust der Wohnimmobilie ein bei jeder mit einer Hypothek besicherten Finanzierung bestehendes Risiko und es trifft de facto nicht nur den Pfandbesteller als Liegenschaftseigentümer, der nicht immer auch Kreditnehmer sein muss, sondern auch die Immobilie bewohnende Angehörige. Die Verwertung einer Liegenschaft ist für Banken nicht nur aufgrund der Vorschriften für Hypothekar- und Immobilienkreditverträge im BWG die Ultima Ratio. Demnach haben Kreditinstitute Strategien und Verfahren bezüglich Zahlungsrückständen von Verbrauchern und Zwangsvollstreckungen festzulegen und anzuwenden. Aus diesen Gründen hätte die interpretationsbedürftige Aussage in den Erläuternden Bemerkungen besser unterbleiben sollen.

Fazit

Die am 1. Mai 2023 in Kraft getretene Novellierung des HIKrG zur erleichterten Kreditvergabe an Senioren und die damit (weitestgehend) hergestellte rechtliche Klarheit ist zu begrüßen, war sie doch aufgrund bestehender Praxisprobleme schon längst erforderlich. Nunmehr ist es möglich, auch Kunden im höheren Alter Finanzierungswünsche, die dem Anwendungsbereich des HIKrG unterliegen, erfüllen zu können. Diskussionswürdig bleibt jedenfalls der soeben analysierte Hinweis in den Erläuternden Bemerkungen in Bezug auf Solidarkreditnehmer, welcher eine Abweichung von der geltenden Rechtslage bedeuten könnte, obwohl keine Notwendigkeit dafür besteht.

Mag. Felix Zangerle ist Jurist in der Konzernrechtsabteilung der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich AG und dabei unter anderem für Finanzierungen von Verbrauchern verantwortlich.

01.07.2023 - Sonstiges