Generation Z und die Neo-Broker – Trendwende im Wertpapierhandel

Dr. Jens Kleine, 
Thomas Jürgenschellert (Heft 5/2021

Die Generation Z weicht in ihren Einstellungen und Anforderungen im Wertpapierhandel sehr stark von älteren Kundenclustern ab. Mit großer medialer Präsenz wurde dies erst kürzlich durch den Hype um die Aktie von GameStop deutlich. Junge Kunden verwenden neuartige Informations- und Abschlusskanäle und fordern klassische Finanzdienstleister damit heraus. Durch die zunehmende Nutzung alternativer Anbieter aus dem Segment der Neo-Broker wird die Schnittstelle zur zukünftig wichtigsten Kundengruppe immer stärker bedroht.

 

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© Dieter Steinbach
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1. Mobile First: Brokerage Apps auf dem Vormarsch

Die Nutzungsweise von Bankdienstleistungen unterliegt aktuell einer noch nie dagewesenen Veränderung. Während vor einigen Jahren der Gang in die Filiale und das persönliche Gespräch mit dem Berater die Ankerpunkte in der Kunde-Bank-Beziehung darstellten, verlagert sich ein großer Teil des Geschäfts heutzutage auf Online-Kanäle. Die Nutzung von Online-Banking-Anwendungen nimmt dabei stetig zu, wobei in letzter Zeit vor allem der mobile Kanal an Bedeutung gewonnen hat. Während die Durchdringung im Web-Bereich in den Jahren von 2016 bis 2019 um lediglich 3% zunahm, liegt die Steigerungsrate im App-Bereich bei 135% und somit bei deutlich mehr als einer Verdopplung der Nutzungsquote (siehe Abbildung 1). Besonders stark wird dieser Trend im Bereich der Brokerage Apps deutlich, wo sich kurzfristig eine enorme Steigerung der Downloadzahlen feststellen lässt.


Zugangskanäle im Banking
Zugangskanäle im Banking

Das Smartphone ist in vielen Lebensbereichen bereits das wichtigste Kontakt- und Kommunikationsmedium geworden – und das nicht nur in jüngeren Kundenclustern. Der Plattform-Gedanke steht dabei vielfach im Vordergrund. Was auf dem asiatischen Markt durch Tech-Giganten wie Tencent (WeChat) schon seit vielen Jahren das digitale Leben der Bevölkerung bestimmt, hält auch im deutschsprachigen Raum immer stärker Einzug. Um bestimmte Kernfunktionen werden dabei Kundenökosysteme geschaffen, bei denen verschiedene Anwendungen und Dienstleistungen miteinander vernetzt zur Verfügung stehen. Der Bereich Brokerage ist hierbei in keiner Weise ausgenommen, sodass das Smartphone sich auch hier zukünftig zum wichtigsten Absatzkanal entwickeln dürfte.

2. Generation Z im Fokus

Ein besonders starker Treiber dieser Entwicklung ist die Generation Z. In Wissenschaft und Praxis werden dieser Kundengruppe mehrheitlich jene Personen zugerechnet, die zwischen 1997 und 2012 zur Welt gekommen sind. Somit handelt es sich dabei derzeit überwiegend um Schüler, Studierende und Berufsanfänger. Eng verwoben mit der Generation Z ist der Begriff des „Technoholics“ – Personen, die mit digitalen Technologien und Medien aufgewachsen sind und diese mit hoher Selbstverständlichkeit in ihrem Alltag erfordern und einsetzen.

Die Generation Z unterscheidet sich stark von ihren Vorgängergenerationen. Während die „Baby Boomer“ leistungs- und statusorientierter sind und einen hohen Wert auf analoge Kontakte und Dienstleistungen legen, denkt die Generation Z globaler, individualisierter und misst der Freizeit einen höheren Stellenwert bei. Daneben spielen ein größeres Umweltbewusstsein sowie ein übergreifendes Nachhaltigkeitsempfinden eine wichtige Rolle für die junge Kundengeneration.

Die Generation Z wird für Finanzdienstleister zukünftig zur wichtigsten Kundengruppe, verantwortlich hierfür sind zwei Gründe. Zum einen ist die Bedrohung der Kundenschnittstelle in keinem Segment so hoch wie unter den jüngeren Kunden. Dies liegt sowohl an den hohen Anforderungen an Transparenz und Usability, als auch an der insgesamt höheren Wechselbereitschaft. Zum anderen wird die Generation Z neben einem eigenen Vermögensaufbau langfristig zur Erbengeneration der wohlhabenden Baby Boomer-Generation, wodurch sich für Banken vielfältige Geschäfts- und Ertragspotentiale bieten.

Die beschriebenen Einstellungen und Werte der Generation Z wirken sich auch maßgeblich auf ihr Investitionsverhalten aus. Von der Information bis zum Abschluss von Anlageprodukten werden hier gänzlich unterschiedliche Anbieter und Kanäle genutzt, als dies in anderen Kundengruppen der Fall ist. Während ältere Kunden über Zeitungsartikel oder traditionelle Online-Anbieter (z.B. Bloomberg) Informationen sammeln und sich persönlich beraten lassen, nutzt die Generation Z vermehrt Foren (z.B. Reddit) und andere soziale Netzwerke sowie Social Trading-Plattformen. Dabei spielen vor allem Influencer (z.B. auf ­YouTube, Instagram) eine zunehmend wichtige Rolle – auch für Bankprodukte. Baby Boomer nutzen für die Geldanlage in der Regel die vorhandene Hauptbankverbindung, mehrheitlich bei Raiffeisenbanken, Sparkassen oder größeren Geschäftsbanken. Die Young Generation hingegen zieht häufig Direktbanken oder sogenannte Neo-Broker (z.B. Trade Republic) vor.

Im Hinblick auf die favorisierten Aktien- und Anleihentitel lassen sich starke Zusammenhänge zur Technologieorientierung der Generation Z feststellen (siehe Abbildung 2). Insbesondere Werte aus der Riege der BigTechs (z.B. Amazon, Google) sowie mit Nachhaltigkeit in Verbindung gebrachte Firmen (z.B. Tesla, Beyond Meat) sind beliebt. Das Anlageverhalten verfolgt dabei also nicht ausschließlich profitorientierte Motive, sondern soll auch den eigenen Wertevorstellungen Ausdruck verleihen.

 

Wertewandel
Wertewandel

3. Niedrigzins und COVID-19 als Katalysatoren

Das Wertpapiergeschäft im Allgemeinen sowie digitale Angebote und Kanäle im Speziellen werden derzeit stark angetrieben vom vorherrschenden Niedrigzinsumfeld sowie der sich weltweit vollziehenden COVID-19-Pandemie. Der „Search for Yield“ treibt derzeit viele Anleger in Produkte mit erhöhten Rendite-Risiko-Profilen. Das Sparkonto ist im deutschsprachigen Raum zwar nach wie vor sehr beliebt, mit steigendem Anteil der Institute mit Strafzinsen erhöht sich jedoch zunehmend die Wechselbereitschaft hin zu Wertpapieren. Für den Fall, dass sämtliche Banken Negativzinsen auf Spar- und Girokontoguthaben einführten, würden 32% der Kunden ihr Geld in Wertpapiere umschichten – lediglich die Bargeldhaltung erreicht hier einen höheren Anteil als Substitut.

Hinzu kommt eine allgemeine Zunahme der Wertpapieraffinität durch die COVID-19-Pandemie. Viele Neukunden wagen sich erstmals an den Kapitalmarkt, auch aufgrund der andauernden Lockdowns. Insbesondere Online Broker konnten bereits im ersten Halbjahr 2020 teilweise dreistellige prozentuale Zuwachsraten bei den Depoteröffnungen im Vorjahresvergleich realisieren. Ein Erfolgsfaktor für das starke Wachstum ist dabei ein funktionierender Onlineprozess, welcher dem Kunden eine fallabschließende Umsetzung ermöglicht.

4. Neo-Broker als Gewinner der Trendwende

Der allgemeine Trend zur Digitalisierung im Wertpapiergeschäft, neuartige Kundenanforderungen und externe Katalysatoren haben eine neue Gattung von Brokern an Marktbedeutung gewinnen lassen – sogenannte Neo-Broker. Aus dem deutschsprachigen Raum stammen hier beispielsweise Trade Republic und Scalable, daneben finden sich diverse internationale Akteure wie beispielsweise Trading 212 (London) und BUX ZERO (Amsterdam). Alle haben gemeinsam: Sie sind geradezu maßgeschneidert auf die Bedürfnisse der Generation Z. Eine hohe Usability mit intuitiver Benutzeroberfläche, schnelle Trade-Ausführung und kostengünstige Preismodelle hinsichtlich Depot- und Ordergebühren haben die Download- und Nutzerzahlen in den vergangenen Monaten in die Höhe schnellen lassen. Die Generation Z handelt deutlich frequentierter als ältere Anleger, weshalb eine gut funktionierende App zum Hygienefaktor dieser Anwendergruppe geworden ist.

Die potentielle Zielgruppe für Neo-Broker aus dem Kundenbestand der Raiffeisenbanken ist groß: Eine Untersuchung von CFin Analytics ergibt, dass zwischen 30% und 35% aller Personen aus der Generation Z sowie Teilen der Generation Y ein erhöhtes Wechselrisiko zu neuartigen Anbietern aufweisen. Im verbleibenden Kundenstamm liegt der Anteil, errechnet auf Basis soziodemografischer Daten und Merkmale, bei etwa 5%.

Neo-Broker bieten dabei diverse Funktionalitäten und Inhalte, welche über das reine Trading-Angebot hinausgehen. Individualisierte Finanznachrichten und Watchlists, Tutorials und Erklärvideos sowie teilweise umfangreiche Social Trading-Möglichkeiten umfassen lediglich einen Ausschnitt des Angebotsspektrums am Markt. Daneben lassen sich automatisierte Anlagelösungen (Robo Advisory) sowie Gamification-Elemente in den Reihen der Neo-Broker identifizieren, woraus eine klare Fokussierung auf das junge Kundensegment ersichtlich wird.

Große mediale Aufmerksamkeit erhielten junge Trader sowie Neo-Broker in Verbindung mit dem kürzlich eingetretenen Hype um die Aktie des amerikanischen Videospielehändlers GameStop. Während sich der Aktienkurs im April 2020 um einen Wert von vier Euro bewegte, wurde am 27. Januar dieses Jahres ein bisheriger Maximalwert von 267 Euro erreicht. Auslöser dieses beispiellosen Aktienhypes waren Verlustwetten größerer Hedgefonds auf der einen Seite und gezielte Aktienkäufe durch Nutzer des Forums Reddit auf der anderen Seite. Mit zunehmenden Kurseffekten erhielt die Aktion immer größere Bekanntheit – auch in einschlägigen Medien. Selbst Tesla-Gründer Elon Musk hatte auf Twitter die Kursbewegungen weiter befeuert (siehe Abbildung 3).

 

GameStop-Hype
GameStop-Hype

Der Effekt sozialer Netzwerke und daraus entstehender Herdenverhalten wird an diesem Beispiel in extremer Form verdeutlich und zeigt einen Wandel im Informations- und Anlageverhalten junger, technologieaffiner Trader.

Neo-Broker nehmen im Rahmen des GameStop-Hypes eine prominente Rolle ein: Anbieter wie Robinhood in den USA oder Trade Republic in Deutschland wurden von einem großen Teil der Reddit-User genutzt, um den Kurs von GameStop in die Höhe zu treiben und gewannen dadurch weiter an Bekanntheit.

5. Klassische Finanzdienstleister unter Druck

Neue Wettbewerber und veränderte Kundenanforderungen erzeugen einen zunehmend hohen Wandlungsdruck auf klassische Filialbanken.

Trotz der erschwerten Ausgangssituation ist eine Veränderung für Filialbanken möglich, um die Kundenschnittstelle der wichtigsten Zielgruppe in Zukunft erfolgreich verteidigen zu können. Als Lösungsansätze bieten sich hierfür drei Teilbereiche an:

  • Zielgruppenspezifische Lösungen: Das Kontomodell oder die Banking App, welche in allen Kundengruppen für eine hohe Zufriedenheit sorgen, scheinen nicht mehr zu existieren. Daher ist es vorzugsweise relevant, für wichtige Geschäftsmodelle zugeschnittene Lösungen (z.B. Banking App) für die junge Kundengeneration zu schaffen.
  • Optimierung bestehender Produktprozesse: Grundvoraussetzung sind digitale Abschlussprozesse mit hoher Usability. Klassische Filialbanken haben an dieser Stelle noch Nachholbedarf, um die Generation Z vollumfänglich im digitalen Umfeld betreuen zu können.
  • Intelligentes Datenmanagement: Zielführender Einsatz von Smart Data Lösungen zur Erhebung der individuellen Nutzungspräferenzen und -verhalten junger Kundengruppen. Hierdurch können kundenrelevante Touchpoints (z.B. Ausbildungsbeginn) frühzeitig erkannt und über entsprechende Vertriebskanäle erfolgreich genutzt werden.

Fazit

Neo-Broker stellen im Wertpapiergeschäft eine zunehmende Konkurrenz für klassische Filialbanken dar. Durch das veränderte Anforderungs- und Nutzungsverhalten der Generation Z verschiebt sich der Fokus von persönlicher Beratung auf eine hohe digitale Usability. Banken werden ihre Marktposition nur durch zielgruppenspezifische Lösungen, intelligentes Datenmanagement und optimierte Prozesse verteidigen können.

Dr. Jens Kleine ist Professor für Bankmanagement und Finanzwirtschaft am CFin – Research Center for Financial Services München.
Thomas Jürgenschellert ist Research Consultant am CFin – Research Center for Financial Services München.

01.06.2021 - Neue Medien