SchülerInnengenossenschaften
a.o. Univ.Prof. Dr. Dietmar Rößl, Gregor Rabong, MSc (Heft 10/2024)
Anfang 2024 führte das Forschungsinstitut für Kooperationen und Genossenschaften der Wirtschaftsuniversität Wien eine Studie zu SchülerInnengenossenschaften (SchüGen) durch. Als Vollerhebung inkludierte sie alle 16 österreichischen SchüGen. Ziel der Untersuchung war es, die entscheidenden Faktoren für deren Erfolg zu identifizieren und zu analysieren, welche Unterstützungen durch Schlüsselpersonen und -institutionen erforderlich sind. Die Ergebnisse bieten nicht nur einen umfassenden Überblick über die Praxis von SchüGen, sondern auch Empfehlungen für die Förderung solcher Initiativen in der Zukunft.
Lassen Sie uns zu Beginn einen Blick auf die Ideen und Zielsetzungen von SchüGen werfen.
Förderung unternehmerischen Lernens
SchüGen führen junge Menschen in die unternehmerische Welt ein und sind inzwischen fast in ganz Österreich vertreten: 5 in Oberösterreich, je 3 in Salzburg und in der Steiermark, 2 in NÖ und jeweils eine in Kärnten, Tirol und Wien. Die ältesten SchüGen sind jene an der Höheren Bundeslehranstalt für Forstwirtschaft in Bruck an der Mur und der HLBLA St. Florian. Die beiden Genossenschaften wurden an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, nämlich am 23. und 24. Juni 2021, gegründet.
Die Idee hinter diesen Schülergenossenschaften ist es, Schülern und Schülerinnen realitätsnahe Erfahrungen in der Geschäftswelt zu ermöglichen. Denn SchüGen sind „echte“ Unternehmen, die von Schülern und Schülerinnen betrieben werden und die Marktleistungen anbieten und „echtes Geld“ verdienen. Dies unterscheidet sie von den Übungsfirmen, die an berufsbildenden höheren Schulen in Österreich bereits seit 30 Jahren existieren und die in einem simulierten Marktumfeld agieren. Und so sieht man im Bildungsministerium SchüGen als Möglichkeit, Freiraum für selbständiges Denken und Tun zu geben.
Durch die direkte Beteiligung am Betrieb eines echten Unternehmens lernen Schüler und Schülerinnen wichtige Lektionen über Wirtschaft, Management, Finanzen und Teamarbeit. Mit SchüGen werden alle vier Kompetenzbereiche gefördert: (1) Kreativität: Sie müssen sich was überlegen; (2) kritisches und analytisches Denken: Sie müssen immer wieder schauen, ob der Weg passt; (3) Kommunizieren: Mit anderen im Vorstand, mit der Partnergenossenschaft, in und über die Schule, zu Hause und (4) Kooperation: in der Klasse, aber auch klassenübergreifend. Das bestätigt folgendes Zitat einer der befragten Begleitlehrkräfte: „Auch Schüler und Schülerinnen unterschiedlicher Jahrgänge interagieren ohne große Berührungsängste, arbeiten gemeinsam an Projekten.“
SchüGen werden im Idealfall als Schulprojekte gegründet, die sich über mehrere Jahre erstrecken und deren Unternehmensidee von den Schülern und Schülerinnen eingebracht wird. Bei der Gründung und Führung der SchüGen werden sie von mindestens einer Lehrkraft im Rahmen einer sogenannten „unverbindlichen Übung“, einem Genossenschaftsverband und von einer Partnergenossenschaft in der Region unterstützt und begleitet. Die Begleitlehrveranstaltung ist auch deshalb wichtig, weil so die Tätigkeit für die SchüGen dem Unterricht zugerechnet wird und somit Versicherungsschutz besteht.
Schülergenossenschaften sind – da die Schüler und Schülerinnen in der Regel nicht vollrechtsfähig sind – keine „echten“ Genossenschaften. Sie sind aber weitestgehend parallel zu den Regeln des Genossenschaftsgesetzes strukturiert – dazu gehören eine „Quasi-Registrierung“, die Prüfung durch einen genossenschaftlichen Revisionsverband (für 15 der aktuell 16 SchüGen ist das ein RaiffeisenRevisionsverband) sowie die Organe Vorstand, Aufsichtsrat und Generalversammlung.
Üblicherweise haben alle Mitglieder unabhängig von ihrem Alter oder ihrer Rolle in der Genossenschaft eine Stimme in der Generalversammlung. Dies fördert nicht nur ein Verständnis für demokratische Prozesse, sondern stärkt auch das Gefühl der Verantwortung und der Zugehörigkeit bei den Mitgliedern. Durchschnittlich setzt sich der Vorstand der SchüGen aus fünf Personen zusammen, während der Aufsichtsrat durchschnittlich sieben Mitglieder umfasst. Vielfach sind die Betreuungslehrkraft, die Schulleitung, manchmal auch der Elternverein oder einzelne Personen des Elternvereins, im Aufsichtsrat vertreten.
Die Vielfalt der österreichischen SchüGen
Eine besondere Herausforderung ist die Findung einer sowohl für die Schüler und Schülerinnen passende als auch ohne laufende Subventionierungen umsetzbare Geschäftsidee. Eine realistische Geschäftsidee darf nicht „zu groß“ sein, aber trotzdem so attraktiv, dass es nicht zur „Mickey Mouse-Sache“ verkommt. Auch muss die Geschäftsidee funktionieren, selbst wenn während der Ferienzeiten mehr oder weniger alles zum Stillstand kommt.
SchüGen decken einen breiten Leistungsbereich ab:
- Engagement für ökologische Projekte: z.B. Betrieb eines Terra Preta-Schulgartens (eine besonders fruchtbare Erde) und Wissensvermittlung über Terra Preta
- Produktion und Handel: z.B. Produktion von Kerzen, Betrieb eines Saftautomaten oder eines Automaten für Hygieneartikel, Hühnerhaltung inkl. Eierverkauf, Durchführung eines Adventmarktes, wobei auch diesen Geschäftsmodellen oft eine soziale oder ökologische Motivation zugrunde liegt.
- Dienstleistungen: z.B. Vermietung von digitalen Räumen, Erstellen von Podcasts für Marketingzwecke, Nachhilfevermittlung
- Schulbezogene Services: z.B. Organisation schulinterner Projekte, Produktion von Skripten, Verkauf von Funktionskleidung oder Merchandise-Artikeln, Buffetbetrieb bei Schulveranstaltungen
Erfolgsfaktoren und Stolpersteine
Für die erfolgreiche Gründung und Führung einer Schülergenossenschaft ist die Motivation der Schülerinnen und Schüler natürlich zentral: Laufende positive Resonanz von außerhalb der Schule zeigen das erfolgreiche Arbeiten der SchüGen. Die Beteiligten feiern erreichte Meilensteine – wie z.B. die erfolgreiche Umsetzung von Softwareprojekten – und ziehen aus der erfolgreichen Zusammenarbeit und dem Engagement aller Beteiligten Motivation für die nächsten Herausforderungen. Die SchüGen muss als kollaboratives – im Idealfall verschiedene Schulstufen involvierendes – Projekt der gesamten Schule und aller Akteure verstanden werden, und nicht nur jener, die gerade in Aufsichtsrat oder Vorstand tätig sind.
Besonders relevant ist die betreuende Lehrkraft. Auf einer Skala von 1 bis 4 (4 = sehr wichtig) wird ihre Wichtigkeit mir durchschnittlich 3,9 angegeben. Sie betreut und begleitet das Projekt – hält es sozusagen auf Schiene! In der Vorgründungsphase ist ihre zentrale Aufgabe, interessierte Schülerinnen und Schüler als Kerngruppe zu identifizieren, bei der Ideenentwicklung, dem Teambuilding und bei der Entwicklung des Businessplans zu helfen.
Insbesondere in der Aufbauphase der SchüGen sind die Betreuungslehrkraft und die Partnergenossenschaft die treibenden Kräfte. Im laufenden Betrieb liefern die Betreuungslehrkräfte fachlichen Input, moderieren regelmäßige Treffen, helfen bei der Jahresplanung und der Aufgabenverteilung. Auch fungieren sie als Schnittstelle zur Schulleitung, zur Partnergenossenschaft und anderen externen Partnern. Trotz dieses für den erfolgreichen Bestand der SchüGen unverzichtbaren Wirkens sollte die Betreuungslehrkraft den Schülerinnen und Schülern Raum für unternehmerische Selbständigkeit geben – sie sollte sich jedenfalls nicht in einer Quasi-Geschäftsführungsrolle wiederfinden.
Die Rolle der Beteiligten
Im Idealfall moderiert und begleitet die Betreuungslehrkraft wie ein externer Berater selbstorganisierte Prozesse. Da braucht es schon jemanden mit weit überdurchschnittlichem Engagement und auch mit Frustrationstoleranz, denn die Schülerinnen und Schüler haben mitunter auch anderes im Sinn als die SchüGen. Und so ist nicht verwunderlich, dass unsere Erhebung zeigt, dass die Betreuung der SchüGen für die Betreuungslehrkraft oft sehr fordernd ist. Da es nicht die Aufgabe der Betreuungslehrkraft sein kann, die SchüGen auch bei mangelndem Engagement der Schüler und Schülerinnen [Statement einer Betreuungslehrkraft: „Ohne mein Zutun geht nichts weiter!“] weiterzuführen, werden SchüGen mal aktiver, mal weniger aktiv betrieben werden und manchmal vielleicht über einige Jahre hinweg gar keinen Geschäftsbetrieb zeigen. Und so wurde auch eine SchüGen nach kurzer Zeit ruhend gestellt, da das Engagement der Schüler und Schülerinnen nach einer kurzen Euphorie einschlief.
Die Schulleitung spielt ebenso eine wichtige Rolle für das Funktionieren von SchüGen. Auf einer Skala von 1 bis 4 (4 = sehr wichtig) wird die Wichtigkeit mit durchschnittlich 3,4 angegeben. Die Schulleitung muss das Projekt mittragen, muss es aber nicht führen. Ihre Rolle ist daher stärker die eines „Ermöglichers“, relevant für die Entlastung der Lehrkräfte und das Schaffen von Freiräumen und die Zuteilung von Unterrichtszeit. Die Schulleitung muss die SchüGen und die Lehrkräfte organisatorisch unterstützen und hinter dem Projekt stehen. Mehrfach wurde betont, dass die Strukturen es den Schülern und Schülerinnen erlauben müssen, sich aktiv zu beteiligen und gleichzeitig ihren regulären schulischen Verpflichtungen nachzukommen. Auch hat die Schulleitung oft eine motivierende Funktion, wenn sie der SchüGen eine Bühne bietet oder ihre Erfolge präsentiert. So ist es z.B. wichtig, dass die Schulleitung der SchüGen erlaubt, sich am Tag der offenen Tür zu präsentieren.
Die Bedeutung von Partnergenossenschaften ist sehr unterschiedlich: Einerseits wurde sie von 50% der Befragten mit „sehr wichtig“, andererseits von mehr als einem Drittel als „nicht wichtig“ oder „eher unwichtig“ bewertet. Die Partnergenossenschaften üben ihre Rolle offenbar sehr unterschiedlich aus. Sie bieten nicht nur praktische Unterstützung und Ressourcen, sondern auch ein lebendiges Beispiel für die Umsetzung genossenschaftlicher Prinzipien.
Der Elternverein sollte zwar als Meinungsbildner mit im Boot sein, er ist aber tendenziell (in einer SchüGen wird er hingegen als „sehr wichtig“ eingestuft) von untergeordneter Bedeutung – in manchen SchüGen ist er gar nicht involviert. Einige befragte Betreuungslehrkräfte wünschen sich eine stärkere Einbindung des Elternvereins, schon deshalb, weil die Produkte der SchüGen oft von den Schülern und Schülerinnen gekauft werden – was wiederum von den Eltern finanziert wird.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Motivation der Schülerinnen und Schüler und die laufende Unterstützung durch die Betreuungslehrkraft die zentralen Faktoren für den erfolgreichen Bestand einer SchüGen sind. Vielfach spielt auch die Partnergenossenschaft eine wichtige Rolle durch praktische Unterstützung und durch Bereitstellung von Fachwissen. Die Schulleitung sollte dem Projekt „SchüGen“ gegenüber positiv eingestellt sein und als Ermöglicher wirken, der den Raum für die involvierten Schüler und Schülerinnen, aber vor allem auch der Betreuungslehrkraft definiert. Der Elternverein sollte die Idee mittragen – jedenfalls darf er nicht hindernd entgegenwirken.
Lebensnahes Unterrichtsmodell für die Zukunft
Die Erfahrungen zeigen, dass SchüGen ein vielversprechendes und lebensnahes Unterrichtsmodell sind. Immerhin sind 85% der Betreuungslehrkräfte mit der bisherigen Entwicklung ihrer SchüGen „sehr zufrieden“ oder „zufrieden“. Die involvierten Schülerinnen und Schüler lernen nicht nur praktische unternehmerische Fähigkeiten, sondern lernen auch, mit demokratischen Entscheidungsprozessen umzugehen. Schülergenossenschaften stärken die Überzeugung, die Dinge selbst in die Hand nehmen zu können und selbst etwas bewegen und verändern zu können – insofern kommt ihnen auch eine gesellschaftspolitische Funktion zu.
Um diese Thesen zu untermauern, sollten unter Verwendung der in diesem Gebiet etablierten Skalen die unternehmerischen Einstellungen und das Demokratiebewusstsein von Schülerinnen und Schülern, die Mitglieder von SchüGen sind oder waren, mit solchen verglichen werden, die SchüGen nicht kennengelernt haben. Und nicht zuletzt bieten SchüGen den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, aktiv zu werden und hervorzutreten. Und so gibt es einzelne Schülerinnen und Schüler, die im Rahmen der SchüGen richtig aufblühen und ihr Potential zeigen können. Sie sehen unmittelbare Erfolge und bekommen dadurch Anerkennung.
Die Rückmeldungen in unserer Erhebung zeigen, dass die Aufgaben für die Betreuungslehrkraft sehr herausfordernd sind. Daher braucht es neben einer Plattform zur Vernetzung der Betreuungslehrkräfte, vor allem die substanzielle Unterstützung durch andere Lehrkräfte, durch die Schulleitung und durch die Partnergenossenschaft, um die Betreuungslehrkraft zu entlasten. Durch Einrichtung einer Begleitlehrveranstaltung als bezahlte unverbindliche Übung fördert das Bildungsministerium Schülergenossenschaften. Es bleibt zu hoffen, dass auch weiterhin die finanziellen Mittel sichergestellt werden können, um diese begleitenden Lehrveranstaltungen nicht nur zu ermöglichen, sondern entsprechend abzugelten, ansonsten werden sich die Lehrkräfte dieser herausfordernden Aufgabe nicht stellen.
a.o. Univ.Prof. Dr. Dietmar Rößl und Gregor Rabong, MSc sind am Forschungsinstitut für Kooperationen und Genossenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien tätig.