Schülergenossenschaften – Ein Blick auf die Praxis in Deutschland

Matthias Herfurth, Prof. Dr. Anton Schmoll (Heft 4/2021)

Seit ihrer Gründung sind Genossenschaftsbanken regional verwurzelt und agieren auf Basis demokratischer und solidarischer Grundprinzipien. Wenn heute sehr viel über die Zukunft des Bankings und die zukünftige Rolle der Banken diskutiert wird, stellt sich auch die Frage nach der Zukunft des Genossenschaftsmodells. Über 160 Schüler- genossenschaften in Deutschland gehen hier mit gutem Beispiel voran.

Genossenschaftsmodell für die Zukunft

Es gilt zu beweisen, dass Genossenschaftsbanken keineswegs ein Auslaufmodell, sondern vielmehr ein Zukunftsmodell darstellen. Diese Zukunftsperspektive verlangt allerdings, die genossenschaftlichen Prinzipien mit neuem Leben und modernen Inhalten zu füllen und so in die Zukunft zu transformieren. Die Herausforderung besteht somit darin, Tradition und Moderne sinnvoll zu kombinieren und sich als Bank der Zukunft zu positionieren.

Gruber
© Dieter Steinbach
Nefischer
© Dieter Steinbach

Unter diesem Aspekt nehmen die Generationen von morgen einen zentralen Stellenwert ein. Nur wenn es gelingt, die Jugendlichen für die genossenschaftlichen Werte zu begeistern und ihnen die Kernaussagen und Bedeutung der Genossenschaftsidee näher zu bringen, wird das genossenschaftliche Modell noch lange erfolgreich bestehen. Ein Unterfangen, das manchmal gar nicht so einfach ist. Gibt es doch genug junge Menschen, denen die Namen Friedrich Wilhelm Raiffeisen oder Hermann Schulze-Delitzsch nichts sagen.

Daher engagiert sich auch die Volks- und Raiffeisenbank (VR-BANK) Rhein-Mosel eG im Rahmen ihres gesellschaftlichen Engagements seit vielen Jahren sehr stark, um die ökonomische Finanzbildung („Financial Literacy“) der Jugend zu fördern. Die Fördermaßnahmen sind sehr vielfältig und reichen von der Initiative „FiBi“ (Finanzielle Bildung in Schulen) bis zu onlinebasierten Finanzquiz-Spielen. Der unmittelbarste Weg, um Genossenschaft erlebbar zu machen, ist zweifelsohne der, selbst eine Genossenschaft zu gründen und zu managen. Dieses Ziel kann am besten durch sog. Schülergenossenschaften erreicht werden.

Daher hilft die VR-BANK Rhein-Mosel bei der Gründung und dem Aufbau von Schülergenossenschaften in ihrer Region, wobei bisher drei Projekte unterstützt und begleitet werden: 2017 wurde im Raiffeisen FinanzCenter die erste Schülergenossenschaft “Green4u eSG“ der Integrierten Gesamtschule Johanna Loewenherz gegründet. Im Raiffeisen-Jahr 2018 folgten mit der “Future for You eSG“ der Freien Waldorfschule und der “writelife & more eSG“ der Freien Christlichen Realschule Neuwied zwei weitere Gründungen.

Alle Beteiligten profitieren

Bei diesen Schülergenossenschaften handelt es sich um Unternehmen mit einem realen Geschäftsbetrieb, die von Schülern in Form einer Genossenschaft geführt werden. Auch wenn diese Unternehmen einen realen Geschäftsbetrieb ausüben, sind sie rechtlich gesehen ein Bildungsprojekt der jeweiligen Schule. Mit dieser Initiative will die VR-BANK Rhein-Mosel den Unternehmergeist und das unternehmerische Denken und Handeln gezielt fördern, wobei alle Beteiligten davon profitieren.

Durch ihre Mitarbeit bei diesen Projekten erwerben die Schüler wertvolle soziale Kompetenzen wie Eigeninitiative, Kreativität oder Teamgeist, die sie im späteren Berufsleben benötigen. Sie können sich in verschiedenen Arbeitsgebieten innerhalb der Genossenschaft einbringen und so ihre eigenen Fähigkeiten und Stärken testen. Mit ihren kleinen Unternehmen entwickeln sie sich menschlich und fachlich weiter und gewinnen bereits in der Schule wichtige Einblicke in die Berufs- und Arbeitswelt.

Für die Schule bietet so ein Projekt die Möglichkeit für praktisches und wirtschaftsbezogenes Lernen. Unter diesem Aspekt bilden Schülergenossenschaften ein wertvolles Instrument der Berufsvorbereitung. Sie sind prinzipiell auf Nachhaltigkeit ausgerichtet und somit dauerhaft an der Schule verankert. Ihre Aktivität endet daher nicht nach einem Schuljahr, sondern wird in der Schule von Jahrgang zu Jahrgang weitergegeben.

Für die Bank ist die Unterstützung von Schülergenossenschaften eine Möglichkeit, um das im Leitbild der Bank angesprochene gesellschaftliche Engagement sichtbar unter Beweis zu stellen. Indem man sich als Partnerbank für Schülergenossenschaften zur Verfügung stellt, wird deutlich, wie man sich für die Menschen der Region engagiert. Gleichzeitig ist dies für die Bank eine wertvolle Möglichkeit, sich bei den Jugendlichen als potenzieller Arbeitgeber zu präsentieren.

Genossenschaftlich und nachhaltig

Genossenschaftliche Prinzipien leben
Dieses spezielle Schülerfirmenmodell ist eine ideale Plattform, damit junge Menschen die Prinzipien einer Genossenschaft verstehen lernen und sich mit ihnen identifizieren. Das ist der VR-BANK Rhein-Mosel ein besonderes Anliegen.

Unter diesem Aspekt bilden auch genossenschaftliche Grundsatzwerte wie Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Solidarität das zen­trale Wertefundament einer Schülergenossenschaft. Anstelle der Verfolgung von individuellen Zielen geht es hier darum, zusammen für ein gemeinsames Ziel zu arbeiten. Getreu dem Motto: „Was einer allein nicht vermag zu schaffen, das schaffen viele“. Die Entscheidungen werden daher in einer Schülergenossenschaft nicht von Einzelnen, sondern gemeinsam getroffen, wobei jedes Mitglied (unabhängig von seinem Anteil) das gleiche Stimmrecht hat. Auf diese Weise wird auch Demokratie unmittelbar erlebt.

Produkte mit Nachhaltigkeit
Die von den Schülergenossenschaften hergestellten Produkte oder Dienstleistungen können sowohl schulintern als auch am „echten“ Markt vertrieben werden. So beschäftigt sich „Green4u“ mit der Produktion und dem Verkauf von gesunder Pausenverpflegung. Dabei wird darauf geachtet, dass es sich um regionale und nachhaltige Produkte handelt (z.B. frisches Obst aus der Region).

Dieses Konzept der Nachhaltigkeit ist neben den genossenschaftlichen Prinzipien ein weiteres wichtiges Element bei Schülergenossenschaften. Dies wird auch im Slogan der Dachmarke „Schülergenossenschaft“ zum Ausdruck gebracht, der lautet: „Nachhaltig wirtschaften – solidarisch handeln“. Daher ist das wirtschaftliche Handeln aller drei Schülergenossenschaften von ökologischen Grundsätzen geprägt. Auf diese Weise lernen die Jugendlichen eine Wirtschaftsform kennen, die verantwortliches Handeln und wirtschaftlichen Erfolg verknüpft und dazu einlädt, sich mit sozialen und ökologischen Herausforderungen aktiv auseinander zu setzen.

Neben der Pausenverpflegung werden auch Schul- und Bastelmaterialien für den Schulalltag angeboten. Zum Schuljahresbeginn, der erfahrungsgemäß immer mit Stress verbunden ist, wird wertvolle Hilfestellung gegeben, indem Pakete mit allen benötigten Materialien zur Verfügung gestellt werden. Durch die von den Schülergenossenschaften organisierten Sammeleinkäufe sparen die Kunden (Schüler, Eltern und Lehrer) Zeit und Geld.

Darüber hinaus betreibt die Schülergenossenschaft „Future for You“ eine kleine Reparaturwerkstätte für Fahrräder. Im "bikewerk" repa­rieren die Schüler gebrauchte Fahrräder und verkaufen die instandgesetzten Fahrräder. Auch dieses Prinzip „Reparieren statt wegwerfen“ entspricht ganz dem nachhaltigen Denken und zeigt, dass ökologisches Handeln und wirtschaftlicher Erfolg kein Widerspruch sind.

Die Patenschaft der Bank

Im Vergleich mit anderen Schülerfirmenmodellen besteht die Besonderheit einer Schülergenossenschaft auch darin, dass eine verbindliche Partnerschaft mit einer Realgenossenschaft bestehen muss. In der VR-BANK Rhein-Mosel  gibt es für jede Schülergenossenschaft einen festen Ansprechpartner in der jeweiligen Geschäftsstelle vor Ort. Die zentrale Projektkoordination wird vom Leiter Vertriebsservice mit Unterstützung der Marketingabteilung wahrgenommen.

Die Paten unterstützen die Schüler bei der Entwicklung eines Businessplans und geben Tipps, wie man aus einer anfänglichen Geschäftsidee ein erfolgreiches Unternehmen aufbaut. Auch in der Phase der formalen Gründung der Schülergenossenschaft stand die Bank mit Rat und Tat zur Seite und es wurden auch eigene Gründungsworkshops organisiert. Die Paten übernehmen zudem auch eine Funktion im Aufsichtsrat.

Daneben leistete auch der regionale Genossenschaftsverband („Verband der Regionen“) wertvolle Hilfe, indem er geeignete Unterlagen und Lernmaterialien zur Verfügung stellt. So gibt es beispielsweise Checklisten und Dokumentationen, die für die Gründung einer Genossenschaft wichtig sind (Mustersatzung, Inhalte eines Geschäftsplans, Gründungsversammlung, Organisation von Aufsichtsrats- und Vorstandssitzungen usw.).

Die Verbundenheit mit der VR-BANK Rhein-Mosel zeigt sich schließlich auch darin, dass alle Gründungsversammlungen in den Räumen der Bank stattfanden. Dort wurde den Eltern, Lehrern und Vertretern der Bank das Geschäftsmodell vorgestellt, die Gründung beschlossen und auch die ersten Mitglieder gewonnen. Darüber hinaus stellte die Bank für die Gründungen jeweils 1.000 Euro als Startkapital zur Verfügung.

Auch im laufenden Geschäftsbetrieb erhalten die Jugendlichen von ihren jeweiligen Paten jede Menge praxisnaher Tipps für das erfolgreiche Managen des Alltagsbetriebs. Um den Erfahrungsaustausch zwischen den Schülergenossenschaften zu fördern, haben sich unterschiedliche Teams zu einer Fachtagung rheinland-pfälzischer Schülergenossenschaften getroffen. Dort konnten sich auch "green4u“ und "Future for you" aus Neuwied jeweils mit einem eigenen Stand präsentieren. Besondere Freude herrschte auch darüber, dass "Future for you" ein Führungskräfteseminar bei der ADG auf Schloss Montabaur gewonnen hat. All diese Beispiele zeigen, wie es möglich ist, die Jugend für die nunmehr fast 160 Jahre alte Idee der Genossenschaft zu begeistern.

Matthias Herfurth ist Vorstand der Volks- und Raiffeisenbank Rhein-Mosel eG.
Prof. Dr. Anton Schmoll ist Lektor an der Fachhochschule für Bank- und Finanzwirtschaft Wien und Dozent an der Akademie Deutscher Genossenschaften (ADG).


Neu auch in Österreich:
Pilot-Projekt
Genossenschaft macht Schule
KOOPERATIV WIRTSCHAFTEN LERNEN
Auf Initiative des Österreichischen Raiffeisenverbandes (ÖRV) läuft derzeit das Pilot-Projekt „Genossenschaft macht Schule“ zur Gründung erster Schülergenossenschaften auch in Österreich. Aufgrund der schulrechtlichen Rahmenbedingungen erfolgen alle Schritte koordiniert und eng abgestimmt mit den zuständigen Ministerien (BMBWF und BMLRT). Als Grundlage dient das neu gestaltete Unterrichtspaket „Genossenschaften im Aufwind“. Aktuell sind 4 ausgewählte Pilot-Schulen in OÖ, NÖ, STMK und KTN, die Landesrevisionsverbände sowie regionale Partnergenossenschaften in das Projekt eingebunden. Im Anschluss an die Pilot- und zugleich Evaluierungsphase ist eine Ausweitung auf weitere Schulstandorte geplant (voraussichtlich ab dem Schuljahr 2021/22). Für weitere Informationen kontaktieren Sie bitte den ÖRV (Mag. Justus Reichl & Andreas Thürnbeck) unter info@genossenschaftmachtschule.at

 

03.05.2021 - Genossenschaften