Die starke Stimme der Genossenschaftsbanken in Brüssel
Nina Schindler (Heft 3/2021)
„Was einer nicht schafft, das schaffen viele“, dieser Leitgedanke von Friedrich Wilhelm Raiffeisen hat auch für die Europäische Vereinigung der Genossenschaftsbanken (EACB - European Association of Co-operative Banks) Gültigkeit. Die EACB ist die Einrichtung in Brüssel, die „gebündelt“ die Interessen europäischer Genossenschaftsbanken und genossenschaftlicher Institute aus EU-Drittstaaten vertritt. Seit ihrer Gründung vor mehr als 50 Jahren ist es ihre Aufgabe, die Anliegen der Genossenschaftsbanken gegenüber den Europäischen Institutionen zu verdeutlichen.
Rückblick
Als Ende der 60er Jahre die Europäische Kommission erste Überlegungen in Richtung „europäisches Bankengesetz“ anstellte, sorgten sich die genossenschaftlichen Institute der damals sechs EWG-Mitgliedstaaten, dass ihre Besonderheiten in diesen Plänen nicht angemessen berücksichtigt werden könnten. Daher gründeten im Jahre 1970 zwölf Banken und Verbände dieser Mitgliedstaaten die EACB. Die neue Vereinigung sollte die Interessen des genossenschaftlichen Bankensektors in den künftigen Beratungen zum europäischen Bankengesetz vertreten.
1985 brachte das Weißbuch der Europäischen Kommission über die Vollendung des europäischen Binnenmarktes einen Regulierungsschub. Weite Teile des Rechtsrahmens für Banken wurden in den folgenden Jahren harmonisiert (z.B. Bankaufsichtsrecht, Wertpapiergeschäft, Verbraucherkredit). In den 90er und 2000er Jahren wurde dieses Regelwerk weiter ergänzt (z.B. Zahlungsverkehr, Datenschutz) und erfasste so nach und nach nahezu alle Bereiche des Bankgeschäfts. Die Einführung des Euro in 2002 brachte weitere Impulse.
Nach der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 trat das EU-Bankenrecht mit der Schaffung der Bankenunion in eine neue Phase: Ein „single rulebook“ wurde verabschiedet. Die Bankenaufsicht wurde bei der Europäischen Zentralbank europäisiert, ein einheitlicher Bankenabwicklungsmechanismus inklusive europäischer Abwicklungsbehörde und eigenem Fond wurde eingerichtet, die Einlagensicherung EU-weit verstärkt. Ebenso wurden die Europäische Bankenbehörde (EBA) und die Europäische Wertpapierbehörde (ESMA) geschaffen. Aber in anderen Bereichen (z.B. Zahlungsverkehr und Verbraucherrecht) wurde das bestehende Regelwerk erheblich ausgebaut. Zunehmend ersetzen Brüsseler Verordnungen nationales Recht.
Zudem beeinflussten globale Standardsetzer, wie der Baseler Ausschuss (BCBS), das International Accounting Standards Board (IASB) oder das Financial Stability Board (FSB), den europäischen Rechtsrahmen fortwährend.
Ein über die Jahre gewachsener Mitgliederkreis
Mit der Erweiterung der EU und der zunehmenden Bedeutung europäischer Bankenregulierung hat auch die Zahl der Mitglieder der EACB ständig zugenommen.
Heute gehören der EACB 27 Mitglieder aus 23 Staaten an. Alle bedeutenden europäischen Genossenschaftsbankengruppen sind Mitglieder der EACB. Die österreichischen Raiffeisenbanken werden durch den Fachverband der Raffeisenbanken in der EACB vertreten. Hinzu kommen noch einige genossenschaftliche Institute aus EU-Drittstaaten, wie Kanada, Großbritannien, Japan und Korea.
Die EACB steht für europaweit rund 2700 Institute, 85 Millionen Mitglieder und 214 Millionen Kunden. Sie repräsentiert damit einen wesentlichen Teil des europäischen Bankensektors, was der Stimme der EACB Gewicht bei der Interessenvertretung verleiht.
Interessenvertretung als Kernaufgabe
Heute ist jedem klar, dass in Brüssel nicht nur rechtliche Vorschriften verabschiedet, sondern auch die strategischen Weichen für die Zukunft des europäischen Bankenmarktes gestellt werden. Es dürfte schwerfallen, in der Bankenregulierung noch Bereiche zu finden, in denen nicht europäisches Recht Anwendung findet oder es den Rahmen der nationalen Regulierung bestimmt. Daher ist die wirkungsvolle und effiziente Wahrnehmung der genossenschaftlichen Anliegen im europäischen Kontext unerlässlich geworden.
Die satzungsgemäße Aufgabe der EACB ist die Vertretung, Förderung und Verteidigung der gemeinsamen Interessen ihrer Mitglieder und der durch sie vertretenen Genossenschaftsbanken gegenüber den EU-Institutionen, aber auch internationalen Organisationen. Daneben bietet die EACB ihren Mitgliedern eine Plattform zum Informationsaustausch untereinander.
Die Interessenvertretung umfasst vielfältige Maßnahmen. Diese sind darauf ausgerichtet, für genossenschaftliche Grundsätze und Werte im Bankenbereich zu werben und die Besonderheiten des Geschäftsmodells zu verdeutlichen. Vor allem aber geht es darum, dass die Entscheidungsträger im EU-Gesetzgebungsverfahren die genossenschaftlichen Forderungen aufnehmen und angemessen berücksichtigen.
Die gemeinsamen Kernbotschaften der Mitglieder werden im Rahmen von Gesprächen mit den wesentlichen politischen Akteuren oder bei EACB-Veranstaltungen, aber auch durch den Auftritt bei externen Events platziert. Weiter wird den EACB-Positionen im Gespräch mit Journalisten traditioneller Medien als auch auf Social-Media-Plattformen und der EACB-Website Öffentlichkeit verschafft.
Über die EACB als Sprachrohr wird eine Bündelung der Interessen erreicht. Ohne Verbündete und der Vereinigung von Kräften wird man im Europa der 27 Mitgliedstaaten kaum das erforderliche Gehör und Mehrheiten für seine Forderungen finden. Die Ausrichtung des Geschäfts auf private Haushalte und mittelständische Unternehmen, die genossenschaftliche Rechtsform sowie ein genossenschaftliches Selbstverständnis bilden eine tragfähige Basis unter den Mitgliedern für die gemeinsame Interessenvertretung in der EACB.
Ein breites Netzwerk zu EU-Entscheidungsträgern
Die EACB hat sich ein weites Netzwerk im EU-politischen Umfeld aufgebaut und vertieft dieses stetig. Es ist ein Erfolgsfaktor für wirkungsvolle Interessenvertretung. Die vertrauensvollen Beziehungen zu wichtigen politischen Entscheidungsträgern, aber ebenso zur Fachebene in den EU-Institutionen und EU-Aufsichtsbehörden erlauben den Mitarbeitern der EACB den frühzeitigen Zugang zu Informationen, die wertvoll für die Interessenvertretung des Verbandes sind. Zudem sichert der persönliche Zugang zu den relevanten Akteuren und eine langfristig aufgebaute Vertrauensbasis, Gehör zu finden.
Im Mittelpunkt der Arbeit der EACB stehen die Legislativvorhaben der europäischen Institutionen, also von Europäischer Kommission, Europäischem Parlament und Ministerrat. Änderungen der umfangreichen Regelwerke, wie Bankenverordnung und -richtlinie (CRR, CRD), Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID), Zahlungsverkehrsrichtlinie (PSD2), haben mittlerweile den Rahmen von regulatorischen Großprojekten erreicht und binden für die Dauer des Verfahrens (rund 2 Jahre) umfassend Kräfte. Während dieser Zeit erfolgt ein in der Regel intensiver mündlicher und schriftlicher Austausch mit Kommissionsmitarbeitern, insbesondere auf technischer Ebene, mit Abgeordneten des Europäischen Parlaments und ihren Mitarbeitern, und nicht zuletzt mit den verschiedenen nationalen Ständigen Vertretungen bei der EU, in die Vertreter der jeweiligen Finanzministerien abgeordnet sind und die Arbeiten auf Ratsebene begleiten.
Die Arbeit der Europäischen Bankenbehörde (EBA) und der Europäischen Wertpapierbehörde (ESMA), welche technische Normen für die Ausgestaltung der zentralen Regelwerke erarbeiten, hat ständig zugenommen. EBA und ESMA bestimmen oftmals die entscheidenden Parameter. Nicht weniger relevant sind die Europäische Zentralbank und ihre Leitlinien oder Verordnungen. Die Kommentierung der zahlreichen Entwürfe, die Teilnahme an Hearings und auch bilaterale Termine mit diesen Behörden sind mittlerweile eine stete Übung. Mit der EZB finden Treffen zum Austausch über Aufsichtsfragen statt. Auch mit dem Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht steht die EACB regelmäßig im Kontakt.
Mit der Ausrichtung der EU-Politik auf Digitalisierung und Nachhaltigkeit muss auch die Arbeit von neuen Einrichtungen, wie dem „Euro Retail Payments Board“ (EZB-Plattform der Akteure im Zahlungsverkehr für eine europäische Zahlungsverkehrsstrategie), der „Plattform on Sustainable Finance“ (Klassifizierungssystem für nachhaltige ökonomische Aktivitäten, „Taxonomie“) oder dem „EFRAG Lab“ (Standardsetzung im Bereich nicht-finanzielle Berichterstattung), betreut werden. Auch hier begleitet die EACB diese Arbeit mit Eingaben und Gesprächen.
Schließlich ist die EACB in verschiedene Einrichtungen eingebunden, wie etwa dem European Banking Industry Committee (EBIC) als gemeinsamer Plattform der europäischen Verbände der Kreditwirtschaft, dem European Payments Council (Standardisierung des Europäischen Zahlungsverkehrs), Findatex (Datenaustausch im Rahmen der Finanzmarktregulierung) oder EFRAG (Entwicklung und Umsetzung internationaler Rechnungslegungsstandards).
EACB-Geschäftsstelle und Arbeitsweise
14 Mitarbeiter einschließlich Geschäftsführerin arbeiten in der EACB-Geschäftsstelle mit Sitz in Brüssel. Die Mehrzahl der Mitarbeiter ist spezialisiert und betreut bestimmte regulatorische Themenbereiche, wie Bankenaufsichtsrecht und Bankenaufsicht, Digitalisierung, Zahlungsverkehr, Verbraucherrecht, Wertpapiergeschäft und Nachhaltigkeit im Finanzwesen.
Die EACB verfolgt die relevanten politischen Initiativen eng und informiert ihre Mitglieder möglichst frühzeitig über Pläne und Vorarbeiten zu EU-Regelungsvorhaben, über vorgelegte Regulierungsvorschläge und im Folgenden über die Verhandlungen während des EU-Gesetzgebungsverfahrens. Schon das Wissen über neue Regeln und deren wesentliche Inhalte ermöglicht es den EACB-Mitgliedern, sich frühzeitig mit neuen Regelungsprojekten, deren Auswirkungen und potenziellen Umsetzungserfordernissen auseinander zu setzen.
Die Facharbeit wird in den Arbeitsgruppen der EACB geleistet, die sich aus Experten der Mitglieder zusammensetzen. Die Arbeitsgruppenmitglieder diskutieren und analysieren die neuen Regulierungsprojekte. Gemeinsame Bewertungen, Kritik und Verbesserungsvorschläge werden in Positionspapiere umgesetzt. Diese sind die Basis für eine zielgerichtete Interessenvertretung und bestimmen die Richtung der verschiedenen Lobbying-Aktivitäten.
Arbeitsintensität und Arbeitstiefe in den Arbeitsgruppen haben in den letzten Jahren stetig zugenommen, parallel zu Regulierungsfrequenz und -umfang. Die EACB verfügt über Arbeitsgruppen in allen wesentlichen Regulierungsbereichen, von Bankenaufsicht über Bankenabwicklung und Wertpapiergeschäft bis Zahlungsverkehr. Zuletzt sind als neue Arbeitsgruppen Digitalisierung und Nachhaltigkeit hinzugekommen. Immer mehr wird es erforderlich, spezielle Expertenrunden (z.B. Zinsänderungsrisiko) einzurichten, um so der Sachtiefe der neuen Vorhaben Rechnung zu tragen.
Die Geschäftsstelle der EACB übernimmt die strategische Planung des Auftritts auf dem EU-politischen Parkett. Abhängig vom Stand der politischen Verhandlungen und den politischen Rahmenbedingungen gilt es, zu entscheiden, wann und welchen politischen Entscheidungsträgern die Belange der Genossenschaftsbanken dargelegt werden sollen. Auf der Basis der Positionspapiere tritt die Geschäftsstelle, regelmäßig zusammen mit den Mitgliedern, in den Dialog mit EU-Kommission, Parlament, Rat und anderen Ansprechpartnern ein. Stellungnahmen werden übermittelt, in Gesprächen Anliegen verdeutlicht, in Veranstaltungen verbreitet, etc. Dieser sehr vielschichtige Kommunikationsprozess nimmt einen sehr großen Teil der Arbeitszeit von Geschäftsstelle und Mitgliedern ein.
Aktuelle Themen und Herausforderungen
Die Covid-19-Pandemie hat zu vielen Verschiebungen in der Brüsseler Agenda geführt, wenn auch nicht in allen Bereichen.
· Zentrales Thema bleibt der Umgang mit der Pandemie und ihren Auswirkungen. Die Situation der Bankbilanzen und die Kapitalisierung der Wirtschaft wird weiter in den Fokus rücken. Die Kommission hat Maßnahmen zu NPL (non performing loans) angekündigt. Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, ob und ggf. welche Maßnahmen noch erforderlich sind.
· Ein weiteres Schwerpunktthema ist die Umsetzung von Basel IV, welche auf 2021 verschoben wurde. Ein Regelungsvorschlag wird nun für Ende Juni erwartet. Zentrale Elemente für die österreichischen Raiffeisenbanken sind die Gewichtung von Beteiligungen sowie die Behandlung von Hypothekarkrediten und nicht gerateten Unternehmenskrediten.
· Trotz der Pandemie wurde das Thema Nachhaltigkeit weiterhin zügig vorangetrieben. Initiativen betreffen alle Bereiche des Bankgeschäfts und werden, soweit nicht bereits geschehen, in der nächsten Zeit die Banken nach und nach erreichen. Als erste Maßnahme wird die Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten umzusetzen sein. Weitere Vorgaben betreffen die Integration von Nachhaltigkeits-Risiken im Risikomanagement, die Nachhaltigkeitskompetenz von Vorständen und Aufsichtsräten, die Beratung bei der Geldanlage.
· Als eine der Top-Prioritäten der Europäischen Kommission zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit Europas wurde auch die digitale Agenda während der Pandemie weiter vorangetrieben. Aktuell liegen zwei Regulierungsvorschläge auf dem Tisch. Sie betreffen Rechtsgrundlagen für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz, den Zugriff und Gebrauch von Daten, Cyber Security und den Umgang mit Kryptowährungen und Stable Coins.
· Eng mit der Digitalagenda verflochten ist die Europäische Zahlungsverkehrsstrategie. Weiter gibt es Überlegungen zur Ausdehnung von „open banking/open finance“ über den Zahlungsverkehr hinaus und die Einführung einer EU-weiten elektronischen Identifizierung (e-ID) von Kunden.
· Zum Jahresende soll es auch weitgehende Vorschläge für eine Änderung des europäischen Rahmens für Bankenabwicklung und Einlagensicherung geben.
Schließlich bereitet sich die EACB auf die Revision maßgeblicher Markt- und Produktregulierungen vor, u.a. von der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente, Hypothekarkreditrichtlinie, Verbraucherkreditrichtlinie, Zahlungsverkehrsrichtlinie und Geldwäscherichtlinie.
Ausblick
Die Bedeutung der Interessenvertretung in Brüssel nimmt nicht ab. Eine überzeugende, aktive Vertretung der genossenschaftlichen Interessen gegenüber dem EU-Gesetzgeber und -Aufseher ist entscheidend, um das erfolgreiche Geschäftsmodell der Genossenschaftsbanken und ihre Profitabilität auch in Zukunft zu sichern. Die österreichischen Raiffeisenbanken können dabei auf die EACB zählen.
Neben den aktuellen regulatorischen Belangen stehen zunehmend strategische Themen auf der Agenda der EACB. Zentral ist die Frage, wie das Geschäftsmodell der Genossenschaftsbanken mit seiner Mitgliederorientierung und Präsenz vor Ort auch in Zukunft, nicht zuletzt im Wettbewerb mit internationalen Großbanken, gestärkt werden kann. Abgesehen von der ständig zunehmenden Regulatorik sind das aktuelle Niedrigzinsumfeld, das wohl noch andauern wird, neue Marktteilnehmer, wie Big- und FinTechs, die Digitalisierung und die damit einhergehende Änderung des Verbraucherverhaltens die größten Herausforderungen für Banken. Diese Entwicklungen werden künftig im Zentrum der Diskussionen des EACB Board und der Hauptversammlung stehen.
Nina Schindler ist seit 1. Februar 2021 Chief Executive Officer der Europäischen Vereinigung der Genossenschaftsbanken (EACB).