Die Energiewende genossenschaftlich verwirklichen

DI Christoph Hammerl, Heft 11/2022

Strom im Ort produzieren und gemeinsam nutzen: Das ist das Ziel von Erneuerbaren Energiegenossenschaften. Bürgerinnen und Bürger, Gemeinden sowie kleine und mittlere Unternehmen schließen sich zusammen, produzieren, verbrauchen, verkaufen und speichern innerhalb ihrer Genossenschaft Strom. Gerade für Gemeinden und Raiffeisenbanken ergeben sich aufgrund ihrer lokalen Verankerung vielfältige Möglichkeiten, hier zu unterstützen, aber auch selbst teilzunehmen. Und auch die Rechtsform der Genossenschaft wird damit wieder bewusster vor den Vorhang geholt, ganz nach dem Motto: Die Energiewende genossenschaftlich verwirklichen. Raiffeisenbanken können so Teil der Energiewende werden.

Basis für die Gründung von Erneuerbaren Energiegenossenschaften bildet das im Jahr 2021 beschlossene Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) und die dort geschaffene Möglichkeit zur Gründung von Erneuerbaren Energiegemeinschaften. Das kann als klare Systeminnovation betrachtet werden, denn bis dahin war es nur möglich, auf einem Grundstück Strom gemeinschaftlich zu erzeugen und zu nutzen. Mit Erneuerbaren Energiegemeinschaften ist das nun über Grundstücksgrenzen hinweg möglich, der Stromtausch kann somit über ganze Ortschaften und Gemeinden stattfinden. Damit werden die ländlichen Regionen noch bewusster ins Zentrum der Energiewende gerückt. 

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© Dieter Steinbach

Das erklärte Ziel des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes ist, die Stromversorgung Österreichs bis 2030 auf 100 % Strom (bilanziell) aus erneuerbaren Quellen umzustellen. Um dieses ambitionierte Vorhaben zu erreichen, muss die Ökostromproduktion von derzeit 54 Terrawattstunden (TWh) auf 81 TWh erhöht werden, was primär über Photovoltaik und Wind geschehen soll. Und auch hier kommen Energiegemeinschaften wieder ins Spiel: Sie sollen den Ausbau mitankurbeln, indem beispielsweise Photovoltaikanlagen gemeinschaftlich errichtet werden. Erneuerbare Energiegemeinschaften bilden damit die ideale Symbiose für die Energiewende, indem sie die Bürgerinnen und Bürger aktiver daran teilhaben lassen und dabei gleichzeitig den Ausbau erneuerbarer Energieträger forcieren. 

 

Energiegemeinschaften als Gemeindeprojekt

Das Konzept einer Erneuerbaren Energiegemeinschaft ist grundsätzlich simpel: Bürgerinnen und Bürger, Gemeinden sowie kleine und mittlere Unternehmen schließen sich zusammen. Dabei wird Strom innerhalb der Gemeinschaft gemeinsam produziert und genutzt. Das alles geschieht auf Ortsebene, der Strom kommt quasi direkt vom Hausdach des Nachbarn, vom Windrad ums Eck oder von der Photovoltaik-Anlage auf der Schule. Auf die Praxis umgelegt können so auch bestehende Kleinwasserkraftwerke oder Windräder, aber auch der Überschussstrom der hauseigenen Photovoltaikanlage in die Energiegemeinschaft eingebracht werden. Es besteht auch die Möglichkeit, dass durch die Energiegemeinschaft selbst Anlagen errichtet werden, wie beispielsweise eine Photovoltaikanlage am Dach der örtlichen Schule. Alle Mitglieder – egal ob mit oder ohne eigene Erzeugungsanlage – nutzen, handeln und tauschen den Strom untereinander. Benötigen einzelne Mitglieder mehr Strom als durch die Energiegemeinschaft geliefert werden kann, dann wird dieser wie gewohnt vom Energieanbieter der Wahl bezogen. Auch Stromspeicher lassen sich damit gut verknüpfen. Das ist auch die Grundidee von Energiegemeinschaften – den Ausbau erneuerbarer Energieträger in den Orten anzukurbeln, den dabei produzierten Strom gleich zu nutzen oder zu speichern und damit regionale Verantwortung zu übernehmen.

Dabei ist das Nähekriterium, also die örtliche Begrenzung, eine wichtige Voraussetzung, um eine Energiegemeinschaft gründen zu können. Der Gesetzgeber hat dies über die Netzebenen, das sind die Spannungsebenen im österreichischen Stromnetz, definiert. Demnach müssen sich alle Mitglieder und Erzeugungsanlagen einer Energiegemeinschaft im Bereich der Netzebenen 5 bis 7 sowie auf der Sammelschiene der Netzebene 4 befinden. Auf die Praxis ausgelegt bedeutet das, dass alle Teilnehmer und Erzeugungsanlagen am selben Umspannwerk hängen müssen. Da die Netzstruktur in Österreich sehr unterschiedlich ist, kann hier nicht auf Gemeinde- oder Ortsgrenzen rückgeschlossen werden.

Neben dem Nähekriterium müssen sich auch alle Teilnehmer und Erzeugungsanlagen im Konzessionsgebiet eines Netzbetreibers befinden. Das ist beispielsweise für Projekte in Niederösterreich oder Oberösterreich kein signifikantes Thema, für die Steiermark – mit einer hohen Anzahl an Netzbetreibern – schon.

Neben den netztechnischen Voraussetzungen gilt es noch, die Teilnahmebedingungen zu klären. Teilnehmen kann grundsätzlich jede und jeder, mit Ausnahme von Großunternehmen und Energieversorgungsunternehmen. Für die Klassifizierung von Großunternehmen wird die KMU-Definition herangezogen, welche besagt, dass nur Unternehmen, die weniger als 250 Mitarbeiter (VZÄ) beschäftigen und einen Jahresumsatz von höchstens 50 Mio EUR erzielen oder deren Jahresbilanzsumme sich auf maximal 43 Mio EUR beläuft, teilnehmen dürfen. Bei der Berechnung sind neben den Daten des eigenständigen Unternehmens auch die Daten von verbundenen Unternehmen und Partnerunternehmen einzurechnen. Für die Berechnung des Jahresumsatzes bei Banken sind die Betriebserträge heranzuziehen. Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass einige der Raiffeisenbanken und Lagerhausgenossenschaften die KMU-Grenze überschreiten und dadurch nicht aktiv an einer Energiegemeinschaft teilnehmen können, trotzdem aber eine unterstützende Rolle einnehmen.

Genossenschaft im Rampenlicht

Die Teilnehmer einer Erneuerbaren Energiegemeinschaft müssen über eine Rechtsform miteinander verbunden sein und genau hier kommt die Genossenschaft ins Spiel. Mit ihrer demokratischen Grundstruktur und einfachen Ein- und Austrittsmöglichkeit ist sie die ideale Rechtsform für größere Projekte im Bereich der Energiegemeinschaften. Größere Projekte sind solche, die ganze Gemeinden oder Ortschaften umfassen. Als Anhaltspunkt kann die Anzahl von 30 Haushalten herangezogen werden. Für kleinere Projekte, die beispielsweise nur einen Straßenzug umfassen, empfiehlt sich der Verein. Nahezu alle der derzeit in Österreich verwirklichten Projekte sind Vereine oder Genossenschaften.

Für schon bestehende Genossenschaften ist die Erweiterung zu einer Erneuerbaren Energiegenossenschaft grundsätzlich möglich und schafft neue Perspektiven, Wachstumspotenzial und zusätzliche finanzielle Möglichkeiten. Die Erweiterung ist besonders für bestehende Nah- oder Fernwärmegenossenschaften attraktiv, da künftig ein ganzheitlicher Energiemix aus Strom und Wärme angeboten werden kann. Zu beachten gilt hierbei, dass alle Teilnehmer der Erneuerbaren Energiegenossenschaft auch deren Mitglieder sein müssen. Ein reiner Kundenstatus ist nicht ausreichend. Auf Grund von Verschiedenheit in der Kapital- als auch Mitgliederstruktur ist die Entscheidung über die Erweiterung einer Genossenschaft immer individuell und in Absprache mit dem Genossenschaftsberater zu treffen.

Mit Erneuerbaren Energiegenossenschaften werden auch die vielseitigen Anwendungsmöglichkeiten von Genossenschaften wieder bewusster ins Rampenlicht geholt. Die Erfahrung der letzten zwei Jahre hat dabei gezeigt, dass für viele Interessenten das Thema Genossenschaft anfänglich Neuland ist, sich aber bei näherer Betrachtung die praktikablen Vorteile herauskristallisieren. 

Status in Österreich

Die ersten Erneuerbaren Energiegenossenschaften wurden bereits im Herbst vergangenen Jahres gegründet, mittlerweile gibt es um die dreißig Erneuerbare Energiegenossenschaften, die bei Raiffeisen gegründet wurden. Operativ tätig ist derzeit noch fast keine dieser Genossenschaften, da durch die Netzbetreiber technische Vorarbeiten für den Stromtausch notwendig waren, die erst mit Oktober 2022 abgeschlossen werden konnten. Man befindet sich also derzeit noch in der Pilotphase. Wichtig hervorzuheben ist hierbei sicherlich, dass Erneuerbare Energiegemeinschaften auch aus politischer Sicht ein Erfolgsprojekt werden sollen, da durch die Bundesregierung, aber auch durch die Länder eigene Koordinierungs- und Beratungsstellen geschaffen wurden.

Die aktuelle energiewirtschaftliche Situation bremst einige Projekte, da die Anlagenbesitzer den Strom bevorzugt zu den derzeitigen Tarifen verkaufen und dieser damit nicht den Energiegemeinschaften zur Verfügung steht. Großer Vorteil der Energiegenossenschaften ist aber, dass der Strompreis durch die Genossenschaft festgelegt wird. Der Wert orientiert sich zwar am Marktpreis, ist aber in der Regel günstiger als dieser. Daneben gibt es weitere finanzielle Vorteile für Energiegemeinschaften: So werden die Netznutzungsentgelte reduziert und die Elek­trizitätsabgabe für alle Erneuerbaren sowie der Erneuerbaren-Förderbeitrag entfallen. Letzterer wurde für das Jahr 2022 komplett ausgesetzt.

Die größten Hürden in der Umsetzung von Erneuerbaren Energiegemeinschaften befinden sich im Bereich des Stromnetzes und den noch offenen rechtlichen Fragestellungen. Viele Ausbauprojekte konnten noch nicht realisiert werden, da die Netzkapazitäten oftmals schon am Limit sind. Man muss aber auch hier ein gewisses Verständnis für die Netzbetreiber aufbringen, denn das Stromnetz wurde über Jahrzehnte hinweg zentralistisch aufgebaut – beginnend bei einem großen Kraftwerk bis hin zur kleinsten Ortschaft. Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energieträger findet die Stromerzeugung nun auch in den Ortschaften statt und stellt damit die Netzbetreiber vor Herausforderungen. Erfahrungsgemäß dauert der Aus- bzw. Umbau der Netzinfrastruktur viele Jahre und kann nicht innerhalb von wenigen Jahren bewerkstelligt werden.

Potenzial für Raiffeisenbanken

Für Raiffeisenbanken gibt es die Möglichkeit, an einer Erneuerbaren Energiegenossenschaft teilzunehmen und sich damit aktiv am Stromhandel innerhalb des Ortes bzw. der Region zu beteiligen. Wichtige Voraussetzung ist die Einhaltung der KMU-Grenze. Sollte diese überschritten werden, besteht zumindest die Möglichkeit einer Unterstützung. Das kann über die Zurverfügungstellung bestehender Photovoltaikanlagen geschehen, als Erstanlaufstelle für Genossenschaftsfragen, aber auch in der operativen, finanziellen Umsetzung. Gerade das Thema Finanzierung erneuerbarer Energieträger wird an Wichtigkeit gewinnen, schließlich muss bis 2030 ein Zubau um 27 Terrawattstunden erfolgen, das ist mehr als die Hälfte der aktuellen Ökostromproduktion. Ein Blick auf bereits bestehende Energiegenossenschaften in Österreich zeigt, dass die Raiffeisenbanken in der überwiegenden Mehrheit als Partner fungieren. Besonders zu erwähnen ist die von der Raiffeisenlandesbank Burgenland ins Leben gerufene Nachhaltigkeitsinitiative, mit der 18 Erneuerbare Energiegenossenschaften – über das ganze Burgenland verteilt – gegründet wurden.

Der Österreichische Raiffeisenverband beschäftigt sich gemeinsam mit den Landesrevisionsverbänden und der RWA Solar Solutions bereits seit über zwei Jahren mit Erneuerbaren Energiegenossenschaften. Ziel ist ein einheitliches und koordiniertes Vorgehen, bei dem unter anderem ein Leitfaden erarbeitet wurde, welcher in kochrezeptartiger Manier alle Schritte für die Gründung einer Erneuer­baren Energiegenossenschaft    auflistet. Unter energiegenossenschaften.kooperieren.at finden sich ein Erklärvideo sowie die Auflistung aller Ansprechpartner in den Landesrevisionsverbänden.

DI Christoph Hammerl koordiniert das Projekt Erneuerbare Energiegenossenschaften beim Österreichischen Raiffeisenverband. 

01.12.2022 - Genossenschaften