Die Leitlinien der EBA für die Kreditvergabe und Überwachung

Hon.-Prof. Dr. Bernhard Koch (Heft 10/2020)

Die Europäische Bankenaufsicht EBA hat im Juni dieses Jahres ihre Leitlinien für die Kreditvergabe und Überwachung (EBA/GL/2020/06) veröffentlicht. Mit diesen Leitlinien („Kreditleitlinien“) soll der gesamte Prozess der Kreditgewährung umfassend so gestaltet werden, dass ausfallgefährdete Kredite tunlichst vermieden werden können.

Sind die Kreditleitlinien verbindlich?

EBA-Leitlinien beruhen auf Art 16 der in den EU-Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbaren EU-Verordnung (EU) 1093/2010. Diese Leitlinien sollen in der EU einheitliche, effiziente und wirksame Aufsichtspraktiken schaffen und eine gemeinsame einheitliche Anwendung des Unionsrechts sicherstellen. EBA-Leitlinien müssen auf EU-Rechtsakte zurückführbar sein. Bei den Kreditleitlinien sind dies die Anforderungen der CRD IV (Richtlinie 2013/36/EU) zur internen Organisation der Kreditinstitute und zum Kreditausfallsrisiko sowie die Vorschriften zur Bonitätsprüfung in der Verbraucherkreditrichtlinie (2008/48/EG) und der Wohnimmobilienkreditrichtlinie (2014/17/EU).

Seidl

Die Aufsichtsbehörden sind – auch nach § 69 (5) BWG - verpflichtet, alle erforderlichen Anstrengungen zu unternehmen, um EBA-Leitlinien nachzukommen und müssen der EBA auch entweder mitteilen, dass sie der Leitlinie nachkommen werden, oder begründen, warum sie das nicht tun werden („comply or explain“).

Die österreichische FMA hat der EBA bereits mitgeteilt, dass sie und die OeNB die Kreditleitlinien im Rahmen ihrer jeweiligen Aufsichtstätigkeiten als Prüfmaßstab heranziehen werden.

Nicht nur die Aufsichtsbehörden, sondern auch die beaufsichtigten Institute sind nach der VO (EU)1093/2010 verpflichtet, alle erforderlichen Anstrengungen zu unternehmen, um EBA-Leitlinien nachzukommen. Kommt ein Institut einer Leitlinie nicht nach, kann ihm die FMA nach § 70 (4) Z 1 BWG per Bescheid die Herstellung jenes Zustands auftragen, der nach Auffassung der FMA unter Berücksichtigung der EBA-Leitlinie dem Gesetz entspricht. Dieser Bescheid, gegen den das Institut Rechtsmittel einbringen kann, wäre mittels Zwangsstrafe durchzusetzen.  Die Zwangsstrafe kann bis zu EUR 30.000,00 betragen und auch wiederholt solange verhängt werden, bis der rechtskonforme Zustand hergestellt wird. Unter bestimmten Voraussetzungen können die Maßnahmen der FMA in der Untersagung der Geschäftsführung durch die Geschäftsleiter oder gar im Konzessionsentzug gipfeln.

Auch wenn EBA-Leitlinien „nicht Gesetz sind“, besteht also ein hoher faktischer Druck auch für die beaufsichtigten Institute, sie in die Tat umzusetzen.

Kurzer Abriss der Inhalte der Kreditleitlinien

Interne Governance (Abschnitt 4)
Dieser Abschnitt gilt für alle eingegangenen Kreditrisiken - mit Ausnahme von Schuldverschreibungen, Derivaten und Wertpapierfinanzierungsgeschäften - zusätzlich zu den EBA-Leitlinien zur internen Governance EBA/GL/2017/11 und enthält spezifische Vorgaben für die interne Behandlung der Kreditvergabe und Überwachung. Zur Proportionalität der vorgesehenen Maßnahmen verweisen die Kreditleitlinien auf die EBA-Leitlinien zur internen Governance (EBA/GL/2017/11), nach denen die Institute nach dort näher beschriebenen Kriterien ihre Größe und interne Organisation sowie die Art, den Umfang und die Komplexität ihrer Geschäfte bei der Erarbeitung und Umsetzung interner Governanceregelungen berücksichtigen sollen.

Umschrieben werden in Abschnitt 4 der Kreditleitlinien die Aufgaben des Leitungsorgans wie zB Genehmigung der Gesamtrisikostrategie und der Geschäftsstrategie, die Festlegung des Kreditrisikoappetits, die Gewährleistung wirksamer Prozesse für Genehmigung und Überwachung und der hinreichenden Qualifikation der Mitarbeiter. Erklärt wird, wie die Institute mit Kreditrisikoappetit, der Kreditrisikostrategie und den Kreditrisikolimits umzugehen haben und wie sie ihre Strategien und Verfahren für das Kreditrisiko unter besonderer Beachtung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Kreditnehmer zu gestalten haben. Kreditvergabekriterien sind unter Berücksichtigung der in Anhang 1 der Kreditleitlinien aufgeführten Vorgaben zu definieren.

Ein besonderes Schwergewicht wird auf technologische Innovationen für die Kreditvergabe, automatisierte Modelle für die Kreditwürdigkeitsprüfung und Kreditentscheidungen, die Dateninfrastruktur sowie auf Faktoren in Bezug auf Umwelt und Soziales gelegt. Des Weiteren enthält dieser Abschnitt Vorgaben für den Kreditentscheidungsprozess, das Kreditrisikomanagement, die interne Kontrolle, die notwendigen Ressourcen für den Bereich Kreditrisiko und die dem Kreditrisikomanagement, dem Kreditrisikoappetit und den Kreditrisikostrategien adäquate Vergütung.

Verfahren zur Kreditvergabe (Abschnitt 5)
Dieser Abschnitt gilt nur für Kredite an Verbraucher, Kleinstunternehmen sowie kleine, mittlere und große Unternehmen, nicht jedoch für Kredite an andere Kreditnehmer wie zB Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen, Zentralbanken und die öffentliche Hand. Er gilt auch nicht für gestundete und notleidende Kredite. Bei der Anwendung des Abschnittes sind im Sinne der Proportionalität Umfang, Art und Komplexität des Kredits zu berücksichtigen, wobei die gesetzliche Verpflichtung zur Bonitätsprüfung bei Verbraucher(Hypothekar-)krediten  aber nicht geschmälert wird.

Unterlagen zur Bonitätsprüfung
Verlangt wird, dass vor dem Abschluss des Kreditvertrags ausreichende genaue und aktuelle Informationen und Daten, anhand derer Kreditwürdigkeit und Risikoprofil des Kreditwerbers geprüft werden können, vorliegen. Konkrete Anforderungen werden getrennt für Verbraucher und Unternehmen einerseits im Text der Kreditleitlinien, andererseits in deren Anhang 2 aufgelistet.  

Kreditwürdigkeitsprüfung
Eine zentrale Position nimmt in diesem Abschnitt die Prüfung der Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers ein. Durch die Kreditleitlinien werden die bislang für Verbraucherkredite einschlägigen EBA-Leitlinien zur Kreditwürdigkeitsprüfung (EBA/GL/2015/11) aufgehoben. Die Kreditleitlinien behandeln die Kreditwürdigkeitsprüfung des Verbrauchers differenzierter und umfangreicher als die aufgehobenen Leitlinien. Auch wenn die Kreditleitlinien dabei keine grundlegende inhaltliche Änderung bringen, finden sich doch einige wichtige Klarstellungen. So wird zB – mit Geltung für alle Arten von Verbraucherkrediten – festgehalten, dass Sicherheiten zwar nicht das Hauptkriterium der Kreditgewährung sein dürfen, weil primär auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Kreditnehmers abgestellt werden muss. Es wird aber gleichzeitig klargestellt, dass es durchaus zulässig wäre, im Kreditvertrag schon vorweg die Kreditrückführung aus dem Verkaufserlös der Sicherheit zu vereinbaren.  

Neben den allgemeinen Vorgaben für Verbraucherkredite finden sich für den Verbraucherkredit noch spezielle Regelungen für Wohnimmobilienkredite, besicherte und unbesicherte Kredite, daneben aber auch umfangreiche Vorgaben für Kredite an Klein- und Kleinstunternehmer, mittlere und große Unternehmer, Kredite zur Immobilienentwicklung, zu gehebelten Transaktionen, sowie zur Finanzierung von Projekten und Schiffen. Parameter zur Bonitätsprüfung in allen diesen Fällen finden sich in Anhang 3 der Kreditleitlinien.

Kreditentscheidung und Vertragsabschluss
Verlangt wird hier eine klar nachvollziehbare Dokumentation der Kreditentscheidung (einschließlich ihrer Gültigkeitsdauer) und ihrer Grundlagen sowie der Auflagen, an die die positive Kreditentscheidung geknüpft wird.

Die Kreditleitlinien verlangen, dass der Kreditvertrag nur dann abgeschlossen wird, wenn der Kreditgeber sich vergewissert hat, dass alle in der Kreditentscheidung festgelegten Voraussetzungen und Bedingungen erfüllt sind. Das wird aber den in den Kreditleitlinien nicht bedachten Fall des sofortigen Abschlusses des Kreditvertrags unter aufschiebenden Bedingungen nicht ausschließen.

Bepreisung (Abschnitt 6)
Relativ kurz ausgefallen ist der Abschnitt zur Bepreisung der Kredite, dessen Anwendungsbereich jenem des Abschnitts 5 (siehe oben) entspricht.

Ein Preisrahmen soll in geeigneten Governance-Strukturen (genannt wird beispielshalber ein „Preisbildungsausschuss“) festgelegt und dokumentiert werden. Er soll der Geschäftsstrategie, den Marktverhältnissen, den Eigenheiten des Produkts entsprechen, wobei Art und Bonität des Kreditnehmers zu berücksichtigen wären. Bei Verbrauchern und Kleinunternternehmern soll der Preisrahmen portfolio- und produktbasiert, bei mittleren und großen Unternehmen auf die individuelle Transaktion ausgerichtet sein. Die EBA listet auch auf, welche Kostenelemente in der Preiskalkulation zu berücksichtigen sind. Indikatoren zur Leistung der Rentabilität werden ebenso verlangt wie eine gerechte Kostenverteilung innerhalb der Organisation.

Bewertung von Immobilien und beweglichen Vermögenswerten (Abschnitt 7)
Breiten Raum räumen die Kreditleitlinien der Sicherheitenbewertung ein, wobei zwischen Immobilien und beweglichen Sachen differenziert wird. Interne Strategien und Verfahren für die Bewertung von Sicherheiten sind festzulegen, wobei auch hier im Sinne der Proportionalität dem Umfang, der Art und der Komplexität der Kreditfazilität und der Sicherheit Rechnung zu tragen ist.

Verlangt wird zunächst eine korrekte Bewertung der Sicherheit zum Zeitpunkt der Kreditvergabe. In Strategien und Verfahren sind die Vorgangsweise und Häufigkeit der Überwachung der weiteren Wertentwicklung der Sicherheiten festzulegen.Die Bewertung hat nach geltenden internationalen, europä­ischen und nationalen Standards zu erfolgen. Immobilien sind durch einen internen oder externen Sachverständigen aufgrund einer Innen- und Außenbesichtigung der Objekte zu bewerten. Bei einer Bewertung von Wohnimmobilien auf gut entwickelten und ausgereiften Immobilienmärkten kann es bei einer Desktop-Bewertung bleiben, so sie von einem internen oder externen Sachverständigen durchgeführt und durch fortgeschrittene statistische Modelle gestützt wird.

Anforderungen an externe und interne Sachverständige und ihre Unabhängigkeit werden in den Kreditleitlinien ebenso definiert wie die Inhalte der Bewertungsberichte.

Überwachungssystem (Abschnitt 8)
Dieser Abschnitt gilt für alle von Instituten eingegangenen Kreditrisiken mit Ausnahme von Schuldverschreibungen, Derivaten und Wertpapierfinanzierungsgeschäften. Bei seiner Umsetzung sind im Sinne der Proportionalität Größe, Art und Komplexität des Instituts, Umfang, Art und Komplexität der Kreditfazilität sowie Art, Größe und Risikoprofil des Kreditnehmers zu berücksichtigen.

Verlangt wird ein stabiles, wirksames und durch eine angemessene Dateninfrastruktur unterstütztes Überwachungssystem, das sicherstellt, dass die Informationen über Kreditrisiken, Kreditnehmer und Sicherheiten relevant und aktuell sind.

Die Überwachung hat insbesondere alle ausstehenden Beträge und Limits, die Einhaltung der Rückzahlungsverpflichtungen und die Erfüllung der vereinbarten Bedingungen und Klauseln  zur wirtschaftlichen Lage des Kreditnehmers (wie zB Debt Service Coverage Ratio) und  Rückzahlungsverpflichtungen durch den Kreditnehmer, dessen Bonität und die fortlaufende Werthaltigkeit der Sicherheiten  zu umfassen. Sie soll sich auf interne und externe Quellen stützen, auch volkswirtschaftliche Entwicklungen berücksichtigen und dem Risikoprofil des Kreditnehmers sowie der Art, dem Umfang und der Komplexität der Kreditfazilität angemessen sein.  Einschlägige Strategien und Verfahren sind festzulegen, quantitative und qualitative Frühwarnindikatoren zu verwenden.

Schlagen Frühwarnindikatoren an, sind die Ursachen zu analysieren und bewerten. Die Ergebnisse sich den Entscheidungsträgern vorzulegen.

Ab wann sind die Kreditleitlinien zu beachten?

Die Kreditleitlinien gelten im vollen Umfang für Darlehen und Kredite, die nach dem 30. Juni 2021 gewährt werden.

Abschnitt 4 der Kreditleitlinien (Kreditvergabeverfahren) gilt auch für die am 30. Juni 2021 bereits aushaftenden Kredite, deren Bedingungen aufgrund einer spezifischen Kreditgenehmigung nach dem 30. Juni 2022 in einem neuen Kreditvertrag oder einer Ergänzung zum bestehenden Kreditvertrag geändert wurden. 

Abschnitt 7 der Kreditleitlinien (Sicherheitenbewertung) gilt nach dem 30. Juni 2021 nicht nur für die Bewertung neuer Sicherheiten, sondern auch für die Überwachung und Neubewertung von davor bestellten Sicherheiten (ausgenommen Finanzsicherheiten). 

Abschnitt 8 (Überwachungssystem) bezieht sich zunächst auf alle Kreditfazilitäten, die nach dem 30. Juni 2021 gewährt wurden. Zu Kreditverhältnissen, die zu diesem Zeitpunkt bereits bestehen, haben die Kreditgeber die zur Überwachung im Sinne der Kreditleitlinien erforderlichen Daten und Informationen bis zum 30. Juni 2024 im Zuge der regulären Kreditprüfung zu beschaffen.

Handlungsbedarf

Viele der Vorgaben der Kreditleitlinien werden in den Raiffeisenbanken schon erfüllt sein. Manches in den Kreditleitlinien ist ja geradezu selbstverständlich. Dennoch ist es dringend notwendig, die Kreditleitlinien zeitnah im Detail darauf durchzuarbeiten, wo in der Raiffeisenbank noch Handlungsbedarf – zB im Zusammenhang mit den vielfach verlangten umfangreichen Dokumentationen zu Strategien und Prozessen – besteht, sodass etwaige Defizite zeitgerecht bis zum 30. Juni 2021 behoben werden können.

Hon.-Prof. Dr. Bernhard Koch betreut im Bereich Legal Services der Raiffeisenbank International AG die Agenden des RBG Gremiums-Recht und ist Honorarprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien.

 

01.11.2020 - Finanzmarktaufsicht