Bankenregulierung in Pandemie-Zeiten

Dr. Klaus Wiedner, Heft 1/2021

Wir erleben gerade beispiellose Zeiten: Die COVID-19-Pandemie zwingt uns zu weitreichenden Einschränkungen in allen Lebensbereichen. Die Konsequenzen für die EU-Wirtschaft sind verheerend. Nach den Prognosen der Europä­ischen Kommission wird sie in diesem Jahr voraussichtlich um mehr als 8% schrumpfen. Die Aussichten für das nächste Jahr bleiben trotz vielversprechender Entwicklungen rund um wirksame Impfstoffe ungewiss. Gewiss ist allerdings, dass Banken eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung der COVID-Krise spielen.

Als die Pandemie ausbrach, waren die Banken dank der Reformen, die nach der letzten Finanzkrise vorgenommen wurden, gut kapitalisiert und widerstandsfähig. Das hat sie in die Lage versetzt, Teil der Lösung dieser Krise zu sein und die Realwirtschaft mit Liquidität und wesentlichen Finanzdienstleistungen zu unterstützen.

Seidl
© Julia Turlejska

Rasche Reaktion auf die Krise

Erleichtert wurde dies durch das rasche und koordinierte Handeln der Regulierungs- und Aufsichtsbehörden auf nationaler, EU- und globaler Ebene, das den Banken den nötigen Spielraum eingeräumt hat, um weiterhin Kredite vergeben zu können.

Die EU-Kommission beispielsweise bestätigte die in den Aufsichts- und Rechnungslegungsvorschriften enthaltene Flexibilität mit einer Mitteilung, um den Banken so viel Sicherheit wie möglich zu geben. Darüber hinaus schlug die EU-Kommission auch gezielte und großteils vorübergehende Änderungen der Eigenkapitalverordnung CRR vor. Diese Änderungen wurden vom EU-Rat und dem EU-Parlament in einem noch nie dagewesenen Eilverfahren verabschiedet, um ihre Anwendung bereits für die erste und akuteste Phase der COVID-Krise sicherzustellen. Im Einzelnen wurden folgende Erleichterungen im Rahmen des sogenannten „CRR Quick Fix“ beschlossen:

· Die durch die CRR2 eingeführten bzw. erweiterten Unterstützungsfaktoren für Risikopositionen gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen (KMU-Faktor) sowie bestimmte Infrastrukturfinanzierungen treten nicht wie vorgesehen im Juni 2021, sondern bereits ein Jahr früher in Kraft und sorgen für eine Entlastung bei den Risikogewichteten Aktiva (RWA).

· Im Einklang mit der Veröffentlichung des Basler Ausschusses vom 3. April 2020 wurden die bestehenden Übergangsregelungen zur Berücksichtigung des „expected credit loss“ gemäß IFRS 9 im regulatorischen Eigenkapital angepasst und erweitert.

· Im Rahmen der Mindestdeckung notleidender Risikopositionen (NPL-Backstopp) wurde eine privilegierte Behandlung für Positionen eingeführt, die durch Zentralbanken, Zentralregierungen, Regionalregierungen und bestimmte andere Stellen garantiert werden, sofern diese ein Standard-Risikogewicht von 0% erhalten. In diesen Fällen muss die Mindestdeckung erst im achten Jahr nach der Klassifizierung eingehalten werden.

· Die CRR2 sieht eine Ausnahme für die Leverage Ratio vor, wonach Zentralbankreserven von der Berücksichtigung in der Gesamtpositionsmessgröße ausgenommen werden dürfen. In diesem Fall wird allerdings die Mindestanforderung für die Leverage Ratio nach oben skaliert, wodurch der Effekt teilweise kompensiert wird. Der Quick Fix reduziert einerseits den Kompensationsmechanismus und erlaubt andererseits die Nutzung der Ausnahme schon vor dem Inkrafttreten der Leverage Ratio als verbindliche Mindestquote im Juni 2021.

· Schließlich werden die von der Europä­ischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) zu spezifizierenden Ausnahmen von Softwareaktiva vom Kapitalabzug nicht erst nach einem Jahr, sondern bereits unmittelbar nach dem Inkrafttreten des entsprechenden technischen Standards gelten.

Entscheidend für den Erfolg dieser Maßnahmen ist, dass Banken den zusätzlichen Spielraum verantwortungsvoll nützen und die Realwirtschaft weiterhin dort mit Finanzmitteln versorgen, wo sie dringend benötigt werden.

Vorbereitung auf die NPL-Herausforderung

Flexibilität und gezielte Entlastung waren bisher zu Recht die Hauptpriorität. Dennoch wird es infolge des coronabedingten Wirtschaftseinbruchs zu steigenden Zahlungsausfällen, Firmenpleiten und damit zwangsläufig auch zu mehr notleidenden Krediten (non-performing loans - NPLs) kommen, insbesondere wenn diverse Unterstützungs- und Hilfsmaßnahmen wie etwa Moratorien auslaufen. Diese Maßnahmen haben uns etwas Zeit verschafft, um Vorbereitungen für den zu erwartenden Anstieg notleidender Kredite zu treffen. Die Erfahrungen der letzten Krise haben einmal mehr gezeigt, dass es besser ist, NPL-Probleme frühzeitig zu adressieren. Nur proaktives und verantwortungsbewusstes Handeln kann sicherstellen, dass Banken weiterhin ihre Schlüsselrolle, insbesondere auch zur Unterstützung der wirtschaftlichen Erholung, spielen können.

Natürlich braucht es die richtigen Instrumente, um die Herausforderung steigender NPL-Quoten erfolgreich zu bewältigen. Als Ergänzung der bestehenden Toolbox hat die EU-Kommission daher bereits im Sommer gezielte Änderungen des Verbriefungsrahmens vorgeschlagen, welche die Kreditvergabekapazität der Banken erhöhen und den Abbau von NPLs erleichtern sollen. EU-Rat und EU-Parlament behandelten diese Vorschläge vorrangig und kamen Ende letzten Jahres zu einem Abschluss der Verhandlungen.

Darüber hinaus hat die EU-Kommission Ende letzten Jahres einen neuen umfassenden NPL-Aktionsplan vorgestellt, der auf dem Dialog mit öffentlichen wie privaten Stakeholdern aufsetzt und deren Zusammenarbeit auf nationaler wie EU-Ebene voraussetzt.

Eines der Hauptziele des Plans besteht darin, die Weiterentwicklung von Sekundärmärkten zu fördern, auf denen Banken notleidende Kredite verkaufen können, sowohl innerhalb eines Mitgliedstaats als auch grenzüberschreitend. Dabei soll gleichzeitig ein hoher Kreditnehmerschutz gewahrt bleiben. Zu diesem Zweck hat die EU-Kommission bereits 2018 eine Richtlinie vorgeschlagen, in welcher u.a. die Tätigkeiten von Kreditdienstleistern definiert, gemeinsame Standards für die Zulassung und Beaufsichtigung festgesetzt und EU-weit einheitliche Verhaltensregeln festgelegt werden. Ein baldiger Abschluss der Verhandlungen ist wichtig, um unnötige Hindernisse für grenzüberschreitende Transaktionen von Kreditkäufern und Kreditdienstleistern zu beseitigen.

Zusätzlich möchte die EU-Kommission die Transparenz und Liquidität der Sekundärmärkte erhöhen, damit NPLs marktgerecht bewertet und Risikoaufschläge minimiert werden. Dafür soll das von der EBA entwickelte Template zur Offenlegung von NPL-Portfolien mit dem Ziel einer europaweit einheitlichen Datenerfassung überarbeitet werden. Außerdem wird die Schaffung einer unionsweiten Informationsplattform für NPLs geprüft. Konkret handelt es sich dabei um eine elektronische Plattform, auf welcher potenzielle Käufer und Verkäufer notleidender Kredite relevante Informationen austauschen könnten. Der Markt für notleidende Kredite soll weiterhin mithilfe der Daten aus bestehenden Kreditregistern sowie Performancedaten vergangener Transaktionen transparenter werden. Durch diese Maßnahmen soll Anlegern der Zugang zu den Märkten für NPLs erleichtert werden, während Banken im Gegenzug ihre notleidenden Kredite leichter veräußern können, dh schneller und zu höheren Verkaufspreisen als derzeit möglich.

Weiters können effizientere und europaweit stärker harmonisierte Insolvenzverfahren den Umgang mit notleidenden Krediten erleichtern. Daher hat die EU-Kommission in Zusammenarbeit mit der EBA einen Vergleich der nationalen Insolvenzregelungen durchgeführt und kürzlich veröffentlicht. Auf dieser Grundlage könnten gegebenenfalls weitere gesetzgeberische Anstrengungen unternommen werden, um bestimmte Aspekte nationaler Insolvenzordnungen zu harmonisieren und NPL-Transaktionen zu erleichtern.

Abschließend sei zu bemerken, dass nationale Vermögensverwaltungsgesellschaften (Asset-Management Companies - AMC) eine sinnvolle Antwort auf die wirtschaftlichen Konsequenzen der Pandemie darstellen können. Schon im Gefolge der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise hat sich gezeigt, dass AMCs ein effektives Instrument sein können, um das Bankensystem von notleidenden Krediten zu befreien und dabei gleichzeitig angemessene Veräußerungswerte sicherzustellen. Es bleibt allerdings den Mitgliedstaaten überlassen, solche AMCs aufzusetzen. Damit diese gegebenenfalls ihr Potenzial voll im Einklang mit den bestehenden Vorschriften ausschöpfen können, hat die EU-Kommission 2018 eine Blaupause für AMCs veröffentlicht.

In einem weiteren Schritt könnten durch die Verbindung nationaler AMCs zu einem grenzüberschreitenden Netzwerk Synergien gehoben werden. Nationale AMCs könnten best practices austauschen, Daten- und Transparenzstandards durchsetzen und erforderlichenfalls Gläubigermaßnahmen koordinieren. Durch ein koordiniertes Vorgehen bei NPL-Transaktionen und die Bereitstellung zugrundeliegender Daten durch AMCs könnten wiederum der Sekundärmarkt und die Markttransparenz gestärkt werden.

Änderungen im makroprudenziellen Rahmen

Ein wesentlicher Grund für die eingangs erwähnte verbesserte Risikotragfähigkeit der Banken sind auch die makroprudenziellen Ka­pitalpuffer, die 2013 als Reaktion auf die Wirtschafts- und Finanzkrise in Europa eingeführt wurden (CRR und CRD). Zum einen sollen die Kapitalpuffer Banken in die Lage versetzen, Verluste in Stresszeiten durch eine zusätzlich über den Mindestkapitalanforderungen liegende Kapitalschicht auszugleichen; zum anderen sollen sie es ihnen ermöglichen, während eines Abschwungs weiterhin wichtige Finanzdienstleistungen für die Realwirtschaft zu erbringen, ohne die Kreditvergabe abrupt und übermäßig einzuschränken.

Um einer Kreditklemme vorzubeugen, haben 2020 viele Mitgliedstaaten vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie die makro­prudenziellen Anforderungen gelockert. Herab­gesetzt wurde dabei insbesondere der antizyklische Kapitalpuffer, aber auch der Systemrisikopuffer sowie der Puffer für andere systemrelevante Institute. Die anstehende Überprüfung der Vorschriften der Makroaufsicht – die EU-Kommission muss bis zum 30. Juni 2022 überprüfen, ob die Vorschriften der CRR und der CRD zur Makroaufsicht ausreichen, um Systemrisiken einzudämmen – bietet nunmehr die Möglichkeit, Erkenntnisse hinsichtlich der Wirksamkeit und Effizienz der Kapitalpuffer sowie anderer Instrumente der Makroaufsicht unter realen Stressbedingungen einfließen zu lassen und gegebenenfalls dem EU-Parlament und dem EU-Rat Änderungen vorzuschlagen. In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass auf internationaler Ebene (Basler Ausschuss für Bankenaufsicht) die Nutzbarkeit der Kapitalpuffer im Kontext der Pandemie diskutiert wird; allerdings sind diesbezüglich derzeit keine Änderungen angedacht. Nichtsdestotrotz hat der Basler Ausschuss im Juni 2020 die Banken mittels Kommuniqué auf deren Nutzbarkeit zu obigen Zwecken hingewiesen und herausgestrichen, dass den Banken ausreichend Zeit eingeräumt werden wird, um die Puffer wiederaufzubauen.

Dessen ungeachtet sind Ende 2020 bereits große Teile der Neuerung aus dem im Juni 2019 in Kraft getretenen Bankenpaket auf europäischer und nationaler Ebene anzuwenden. Diese Neuerungen erstrecken sich unter anderem auch auf das makroprudenzielle Instrumentarium. Dessen wichtigste Änderungen werden an dieser Stelle knapp angerissen.

· Mit der Aktualisierung wurden die Kapitalaufschläge der Säule 2 auf eine rein mikroprudenzielle Ebene beschränkt, um Überschneidungen mit dem makroprudenziellen Instrumentarium zu vermeiden.

· Im Gegenzug wurde das Instrumentarium allerdings flexibler und umfassender ausgestaltet. Dies betrifft insbesondere die Möglichkeiten eines flexibleren Einsatzes des Systemrisikopuffers und des Puffers für andere systemrelevante Institute. In diesem Zusammenhang wurde auch der Anwendungsbereich des Systemrisikopuffers geklärt. Mit dem Systemrisikopuffer können fortan alle Systemrisiken (und nicht wie bisher nur strukturelle Risiken) adressiert werden, sofern sie nicht bereits durch andere Kapitalpuffer abgedeckt werden. Darüber hinaus kann der Systemrisikopuffer künftig auch auf sektorale Risikopositionen, beispielweise durch Wohn- oder Gewerbeimmobilien besicherte Kredite, angewandt werden. Daneben wurde die Deckelung des Puffers für andere systemrelevante Institute auf 3% angehoben.

· Zudem wurden die Aufgaben und Zuständigkeiten der Behörden bei der Bewältigung von Risiken für die Finanzstabilität im Zusammenhang mit durch Immobilien besicherte Risikopositionen geklärt. Die Mitgliedstaaten können entweder die Mikro- oder die Makroaufsicht mit der Ausübung von Maßnahmen auf Basis von Artikel 124 und 164 CRR betrauen. Falls die Risikogewichte im Standardansatz bzw. die Mindestwerte für die Verlustquote bei Ausfall (LGD) im Rahmen des auf internen Beurteilungen basierenden Ansatzes (IRB-Ansatz) die tatsächlichen Risiken nicht in angemessener Weise widerspiegeln und sich dies negativ auf die Finanzstabilität auswirkt, können damit von der Aufsicht höhere Risikogewichte bzw. höhere LGD-Mindestwerte für die betreffenden Risikopositionen festgesetzt werden. Dies kann zukünftig sowohl auf Ebene eines als auch mehrerer Immobiliensegmente geschehen.

· Weiters wurde im Zuge der Aktualisierung auch die Governance in Bezug auf die Festsetzung der Kapitalpufferhöhen überarbeitet. Fortan muss der Systemrisikopuffer ab einer Höhe von über 5% von der EU-Kommission autorisiert werden; für den Puffer für andere systemrelevante Institute ist dieser Schritt bereits ab einem Schwellenwert von 3% erforderlich. Die kumulierte Pufferquote aus Systemrisikopuffer und Puffern für systemrelevante Institute wurde ebenfalls begrenzt. Ab einer Quote von über 5% bedarf es hierfür der Zustimmung der EU-Kommission. Dies stellt sicher, dass die Auswirkungen auf den Binnenmarkt entsprechend gewürdigt werden. Demgegenüber wurde allerdings der Verwaltungsaufwand für die Aktivierung und gegenseitige Anerkennung von makroprudenziellen Instrumenten reduziert.

Mit den obigen Neuerungen sinkt auch die Notwendigkeit für strengere nationale Maßnahmen nach Artikel 458 CRR, die in den letzten Jahren stetig zugenommen haben und vor allem durch Wohnimmobilien besicherte Risikopositionen betreffen. Strengere Maßnahmen müssen von den Mitgliedstaaten angezeigt werden und dürfen nur erlassen werden, wenn das harmonisierte makroprudenzielle Instrumentarium nicht ausreicht, um ein Makroaufsichts- oder Systemrisiko zu beheben. Letztendlich hat über deren Einführung der Rat, nach Vorschlag der Kommission, zu entscheiden.

Dr. Klaus Wiedner ist Direktor für Finanzsystemaufsicht und Krisenmanagement in der EU-Kommission.

01.02.2021 - Finanzmarktaufsicht