Aus dem Takt

Die Coronakrise hat den gewohnten Fluss des weltweiten Warenaustauschs verändert. Die Abhängigkeit von internationalen Lieferketten hat sich als Schwachstelle der Globalisierung herauskristallisiert, auch internationale Geschäftsreisen wurden eingestellt. Werden jetzt die Spielregeln neu geschrieben?

Es war der teuerste Verkehrsstau der Welt: Fast eine Woche lang blockierte im März das Containerschiff „Ever Given“ den Suezkanal. Die Warteschlange bei den Einfahrten wuchs schnell auf rund 400 Schiffe. Für viele Unternehmen rund um den Erdball begann das große Zittern: Bleiben die Schiffe aus, fehlen dem Handel Waren für den Verkauf und der Industrie Rohstoffe und Komponenten in der Produktion. Was dann passierte, erlebt man seit März 2020 immer wieder: Seit damals legen Lockdowns rund um den Erdball globale Produktionsketten lahm. Was für Franz Staberhofer, Professor und Leiter des Logistikums an der FH Steyr, kein unabwendbares Schicksal ist: „Solche Vorfälle unterstreichen einmal mehr die zunehmende Wichtigkeit von Supply-Chain-Management (SCM).“ Viele Unternehmen reagierten oft viel zu spät – nämlich erst dann, wenn die Störung in der Lieferkette schon eingetreten ist. Aktives Risikomanagement hingegen erlaube, sich bestmöglich gegen künftige Engpässe zu rüsten und mögliche Blockaden proaktiv zu verringern oder gar komplett auszuschalten. „Dafür braucht es Supply-Chain-Cockpits. Über Dashboards kann man gesamte Lieferketten kontrollieren. Kommt es zu einer Störung oder einem Lieferengpass, kann man schnell reagieren und entsprechende Maßnahmen ergreifen“, so Staberhofer. Neben der Versorgungssicherheit schaffe man damit gleichzeitig auch Transparenz. Das sei gerade in Zeiten wie diesen wichtig. Staberhofer: „Logistik ist durch die Pandemie deutlicher in das Bewusstsein der Menschen gerückt und stärkt den Materialfluss trotz globaler Einschränkungen.“

 

Gezielt lokalisieren

Tatsächlich haben die stotternden Abläufe in längst globalisierten Produktionen die Nachfrage nach Containertransporten aber nicht gebremst – sondern vervielfacht und die Frachtraten in die Höhe getrieben. Bleibt eigentlich nur mehr das gute alte Warenlager als Alternative. Feiert es nun ein Comeback? „Gut war das alte Lager nur dann, wenn darin das Richtige gelagert wurde“, sagt Staberhofer. „Es gilt das alte logistische Prinzip: Nicht die Größe der Lager ist entscheidend, sondern auf die richtige Füllung kommt es an. Daran ist zu arbeiten, statt nicht ganz verstandene Konzepte wie Just-in-Time einzusetzen.“ Die Kosten für schlaue Lagerhaltung seien vernachlässigbar: „Der Preis wirkt sich letztlich nur bei niederwertigen Produkten aus, der Same-Day-Delivery-Boom verstärkt den Druck. Das ist ohnehin nicht nachhaltig.“ Hier sollte es nach seiner Meinung politische Vorgaben und Richtlinien geben und gezielt regional produziert werden. „Nichtsdestotrotz sollten wir einen realistischen Zugang zur Globalität erhalten“, konstatiert Staberhofer. „Jetzt alles wieder zu relokalisieren, ist unrealistisch. Dazu fehlt an vielen Stellen das Know-how. Es geht vielmehr darum, verlässliche globale Verhältnisse herzustellen.“

 

Gemeinsame europäische Strategie

An weiterhin global funktionierende Lieferketten glaubt auch Axel Kühner, Vorstandsvorsitzender der Greiner AG. Der Kunststoffkonzern mit Sitz in Kremsmünster in Oberösterreich agiert an 34 Standorten in 140 Ländern weltweit. Kühner: „Wir haben lange für die Globalisierung gekämpft und sie hat uns allen, zumindest in Österreich, mehr gesellschaftlichen Wohlstand gebracht. Aber auch global ist der Anteil der notleidenden Menschen eindeutig zurückgegangen. Das darf man nicht vergessen.“ Grenzschließungen innerhalb Europas und willkürliche Ausfuhrstopps etwa für medizinische Produkte innerhalb der EU seien Tiefpunkte im gemeinsamen europäischen Projekt. „Wenn wir das nicht lösen, brauchen wir auch nicht über Nearshoring, also die Produktion im benachbarten Ausland, nachzudenken.“ Zwar haben die pandemiebedingten Grenzkontrollen, Exportverbote und Lockdowns auch Greiner vor große Herausforderungen gestellt, dennoch gelang es dem Unternehmen, die globalen Lieferketten rasch in den Griff zu bekommen und wieder lieferfähig zu sein. „Heute machen uns eher die hohen Rohstoffpreise und deren mangelnde Verfügbarkeit Sorgen“, sagt Kühner. Eine schwächere Nachfrage, darunter in der Automobil- und Flugzeugindustrie, setzt das Unternehmen zusätzlich unter Druck. Kühner: „Im Automobilbereich bin ich kurz- bis mittelfristig deutlich zuversichtlicher. Hier spüren wir derzeit eine sehr starke Nachfrage. Noch wird sie allerdings sehr einseitig aus China getrieben.“ In vielen Fällen ist persönlicher Kontakt wichtig. Dienstreisen sind daher unumgänglich. „Aber deutlich weniger als früher, da wir gelernt haben, die neuen Mittel der digitalen Kommunikation auch in Bereichen einzusetzen, in denen wir bisher geglaubt haben, es ginge nicht“, so Kühner.

 

Bereitschaft zum Wandel

Der oberösterreichische Spezialist für Wasseraufbereitung BWT (Best Water Technology) hat seine Geschäftsreisen ebenfalls auf das absolut notwendige Minimum reduziert. BWT-Gründer Andreas Weißenbacher: „Reisen ist bei uns nur in Ausnahmefällen, wie zur Anbahnung neuer interessanter Geschäftspartnerschaften, für Akquisitionsverhandlungen oder zur Erfüllung von unaufschiebbaren Dienstleistungen, möglich. Nichtsdestotrotz wünschen wir uns eine Normalisierung der Reisetätigkeiten, um wieder stärker in den überregionalen Märkten präsent zu sein und persönliche Kontakte zu unseren internationalen Kunden zu pflegen.“ Es sei schwer vorherzusagen, wie sich die Pandemie längerfristig auf die Globalisierung auswirken werde. „Aktuell geht der Trend zu einem stärkeren regionalen, föderalistischen Ansatz in der Bewertung von Handlungsoptionen“, so Weißenbacher. „Die Krise lehrt uns, dass die Bereitschaft zum Wandel jederzeit neu und unvorhersehbar gefordert ist. Die Vorbereitung der Menschen auf solche Ausnahmesituationen hilft auch den Unternehmen, diesen Wandel zu bewältigen.“ Die Nachfrage könne sich spontan verändern, ebenso wie die Angebotssituation auf den verschiedenen Märkten. Weißenbacher: „Wir sind davon überzeugt, dass sich die Erde immer stärker zum ‚Digital Cube‘ entwickeln wird, in dem Datensicherheit und Vertrauen zum Geschäftspartner über den Erfolg entscheiden werden. Wir haben gelernt, dass das Vertrauen auf Systeme allein eben nicht ausreicht, sondern es in Krisen noch stärker auf das Vertrauen ineinander für ein höheres Gemeinwohl ankommt. Stabile Partnerschaften sind hier elementar für den Erfolg.“

 

Export bleibt Erfolgsfaktor

Das kleine Österreich leidet deshalb besonders unter den coronabedingten Hürden für internationale Kooperationen. Florian Zeppetzauer, Leiter Export Center OÖ: „Das größte Problem sind die Reisebeschränkungen – das betrifft alle Staaten, aber ganz besonders jene außerhalb der Europäischen Union.“ Fordernd sei der Wildwuchs an Regularien, die nicht nur national, sondern auch regional unterschiedlich ausfallen und durch unterschiedliche Impfgeschwindigkeiten noch komplexer werden. „Im Vorjahr stand diese Thematik bei vielen Beratungsgesprächen im Export Center OÖ im Mittelpunkt“, so Zeppetzauer. Schließlich seien Geschäftsreisen und internationale Handelsbeziehungen der Motor der österreichischen Wirtschaft, jeder zweite Arbeitsplatz hängt direkt oder indirekt vom Export ab. „Die globalen Verflechtungen sind so stark wie nie zuvor, die Digitalisierung verstärkt sie weiter. Unser Ziel ist, möglichst schnell zum Vorkrisenniveau zurückzukehren und die internationalen Geschäftsmöglichkeiten bestmöglich zu nutzen“, sagt Zeppetzauer. Der Wunsch nach mehr Regionalität sei verständlich, dennoch müsse man die Wirtschaftsstruktur bedenken. „Wir haben viele Hidden Champions, die in ihren Bereichen Experten sind. Das Potenzial dieser Unternehmen kann nur genutzt werden, wenn ihre Produkte am Weltmarkt verfügbar sind. Der Heimatmarkt ist für diese Unternehmen viel zu klein.“ Die aktuelle Situation zeige, dass die arbeitsteilige Wirtschaft ohne internationalen Handel nicht funktionieren kann. „Wir sind eben ein sehr stark exportorientiertes Land.“ Wobei sich in der Krise vor allem die oberösterreichische Exportwirtschaft als erstaunlich resilient erwies. Schnell passte man sich veränderten Bedingungen an, viele heimische Unternehmen unterhalten jetzt etwa bewusst größere Lager, um die Lieferabhängigkeit zu minimieren. Zudem scheinen die Unternehmen einen Modus gefunden zu haben, trotz aller Hemmnisse grenzüberschreitende Geschäfte abzuwickeln. Demnach ist die heimische Exportwirtschaft auf dem besten Weg, an frühere Exporterfolge anzuschließen – trotz der anhaltenden Pandemie. Aktuelle Prognosen gehen davon aus, dass das Vorkrisen-Exportniveau spätestens Ende 2022 erreicht sein wird. Das Ende der Globalisierung ist damit bis auf Weiteres abgesagt. 

 

Text: Rosi Dorudi