„Green tech hat auch in den USA Zukunft“ - Hannelore Veit im Interview

Die Journalistin und US-Insiderin Hannelore Veit wagt im Interview einen Ausblick auf die Strategien der neuen US-Regierung zu den Themen Klimaschutz, Handelssanktionen und Krisenbewältigung.

business: In Ihrem Buch „USA – Stimmen aus einem gespaltenen Land“ beschreiben Sie eindrucksvoll den Wandel von der weltoffenen Musterdemokratie zur America-First-Nabelschau. Kann Joe Biden das Interesse der US-Bürger am Rest der Welt wieder steigern?

Hannelore Veit: AMERICA FIRST wird weiter das Motto bleiben – aber mit einem großen Unterschied: Unter Joe Biden wird es nicht AMERICA ALONE heißen wie in den vier Jahren unter Donald Trump. Diplomatie und Multilateralismus zählen wieder, das ist schon in den ersten Monaten der Biden-Regierung zu spüren, Verbündete werden wieder als solche behandelt und geschätzt. Aber es wird auch unter Präsident Joe Biden in erster Linie um die Amerikaner selbst gehen, die Außenpolitik hat schon im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt. Konkret sind die USA im Moment damit beschäftigt, einen Weg aus der Coronakrise zu finden und die Wirtschaft anzukurbeln. Ich bin sicher, die Amerikaner kommen viel schneller aus dieser weltweiten Krise als wir Europäer.

 

business: Auch wenn die USA öfters mit harten Bandagen gegen europäische Importe ankämpften: So offensiv wie unter Donald Trump wurden Handelskonflikte noch nie ausgetragen. Einst galten europäische Produkte in den USA als „Premium“. Ist das noch so? Oder setzte sich „Buy American“ durch?

Veit: Es gibt noch immer eine gewisse Bewunderung für „Premium-Produkte“ aus Europa – ein BMW hat ein anderes Image als Ford, um ein Beispiel zu nennen. Es ist eine Art Hassliebe, die schnell ins Gegenteil umschlägt, wenn es gerade dem Zeitgeist (und den sozialen Medien) entspricht. Biden unterliegt sicher nicht dem Trump’schen Denken, dass die USA vom Rest der Welt über den Tisch gezogen werden. Die Debatte um das von Donald Trump ständig zitierte Handelsbilanzdefizit spielt nicht mehr die zentrale Rolle – das ist erfrischend. Aber die raschere Erholung der US-Wirtschaft könnte zu einem noch größeren Handelsbilanzdefizit mit Europa führen – und die Frage von Zöllen könnte wieder aufpoppen. Ich sehe es eher gelassen: Man weiß wieder, man braucht einander. 

 

business: Österreich galt für viele US-Bürger abseits der Ballungszentren an den Küsten als exotisch, noch in den Neunzigern gab es verbreitet Klischees, die durch „Sound of Music“ und Kaiserfilme entstanden sind. Hat sich das Bild Österreichs in den USA gewandelt? Wie haben Sie auf Ihren zahlreichen Reisen durch das riesige Land das Image Österreichs wahrgenommen?

Veit: Den Film Sound of Music kennt die ältere Generation – und davon ist tatsächlich deren Österreichbild geprägt. Als ich in den 1980er-Jahren als Studentin in den USA lebte, war es für meine Studienkollegen unglaublich, dass ich Sound of Music noch nie gesehen hatte. Inzwischen ist das Österreichbild realistischer geworden – aber es ist immer noch romantisch, zum Vorteil Österreichs. Von Wien oder Salzburg als Reiseziel schwärmen viele Amerikaner. Trotzdem, mir ist es nicht nur einmal passiert, dass ich mit meinem Kamerateam zu einem Interview gekommen bin und am Empfang angekündigt wurde mit den Worten: „The Australian TV team is here.“   

 

business: Die US-Infrastruktur galt schon als schwer sanierungsbedürftig, als noch Barack Obama regierte. Haben sich die Probleme mittlerweile verbessert? Gibt es noch stark von Arbeits- und Perspektivenlosigkeit gezeichnete Landstriche und Orte wie das von Dokumentarfilmer Michael Moore bekannt gemachte Flint?

Veit: Es gibt leider viele Flints in den USA. Mich hat eine Reportagereise in das Kohlegebiet am Ohio River beeindruckt: Die Kleinstädte dort sind trostlos, es gibt nicht genug Jobs, junge Menschen haben keine Perspektiven. Da hat sich nicht sehr viel geändert. Donald Trump hat es verstanden, genau diese Gruppe von Alleingelassenen anzusprechen, die glauben, von Washington vergessen worden zu sein. Er hat sich als Präsident des kleinen Mannes präsentiert, der nichts mit der Politmaschine in Washington zu tun hat – obwohl er selbst alles andere als ein Mann aus dem Volk ist. Perspektiven konnte aber auch er keine geben. 

Die Infrastruktur ist nach wie vor sehr sanierungsbedürftig. Das ist unübersehbar, wenn man durch die USA reist: etwa beim Umsteigen auf Flughäfen, die seit den 1980er-Jahren nicht renoviert wurden. Oder wenn man in Washington im  Frühjahr Slalom zwischen den Schlaglöchern fahren muss. Biden hat das Problem erkannt, genauso wie Obama und Trump vor ihm. Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs ist das große Infrastrukturpaket von Joe Biden gerade im Entstehen. Ich kann nur hoffen, dass es auch tatsächlich durchgezogen wird.  

 

business: Auch die neue US-Administration macht Druck auf Europa: Gefordert wird ein Ende von Nord-Stream-Pipelines und eine klare Unterstützung der US-Maßnahmen gegen China. Wie ernst meinen die USA die beachtlich scharfen Drohgebärden gegenüber Europa?

Veit: Biden ruht sich auf der Vorarbeit aus, die Trump geleistet hat. Sie kommt ihm nicht ungelegen: Die USA sehen China als aufstrebende Weltmacht, der man nicht trauen kann. Trump hat Sanktionen erlassen, Biden hat diese nicht rückgängig gemacht, sondern will zuerst einmal die Entwicklung prüfen. Die USA hätten Europa dabei gerne an Bord. Sie sagen: Wir haben gemeinsame Werte, lasst uns gemeinsam China-Politik machen, dann sind wir stark. Ob das gelingt, wird nicht zuletzt von Europa abhängen: Die EU wird dazu einiges selbst tun müssen und darf nicht nur an die Wirtschaftschancen in China denken.

Nord Stream wiederum schürt die ewige Angst der Amerikaner, dass die Europäer von russischer Energie und damit von Russland abhängig sind.  In den Kongress-Hearings, die auch der US-Botschafter für Österreich vor seiner Entsendung absolvieren muss, kommt immer wieder die Frage:  „Was wollen Sie tun, um Österreich von russischer Energie unabhängiger zur machen?“ Es wird sich eine Lösung für Nord Stream finden lassen, aber die USA wollen Zugeständnisse der Europäer haben.

 

business: Eine der oft bewunderten Eigenschaften der US-Bevölkerung ist es, nach Niederlagen wieder aufzustehen. Selbst das pleitegegangene und von Kriminalität erschütterte Detroit feiert mit junger Kunst ein Comeback, die Häuserpreise steigen wieder. Lebt der American Dream noch, also der Glaube, es immer noch bis ganz nach oben schaffen zu können?

Veit: Dieser Kämpfergeist, immer wieder aus einer Krise zu finden, ist genau das, was ich an den Amerikanern mag. Das zeichnet sie aus,  dieses Sich-nicht-unterkriegen-Lassen von widrigen Umständen. Und dass sie immer an die Zukunft denken und immer wiederholen: Zum Erfolg gehört, auch einmal Misserfolg zu haben und nicht aufzugeben. Failing is part of success. Man muss etwas riskieren, um etwas zu
gewinnen. Da sind die Europäer vorsichtig: Darf ich das, kann ich das? Das sind die Fragen, die sie sich stellen. Die Amerikaner fragen: Warum kann ich das nicht? Das ist eine andere Lebenseinstellung.

 

business: Was sind aus Ihrer Sicht die größten wirtschaftlichen Herausforderungen der Biden-Administration?

Veit: Definitiv der Wiederaufbau nach Corona. Das muss Joe Biden hinkriegen, ein riesiges Hilfspaket hat er zu Beginn seiner Amtszeit verabschiedet. Ich war im Frühjahr wieder in den USA: Während Europa von einem Lockdown in den anderen rutschte und in Depressionen versank, bekam ich in den USA das Gefühl vermittelt: Wir haben Covid schon bald hinter uns. 

 

business: Vor allem an der Westküste zeigen sich die USA sehr umweltbewusst. Ist Greentech für die USA eine mehrheitsfähige Zukunftsvision?

Veit: Ich glaube schon, Klimaschutz ist ein großes Anliegen der Biden-Administration. In manchen Bundesstaaten schon immer, wie in Kalifornien oder Massachusetts – auch unter und trotz Trump. Es wird schwierig werden, Klimaschutz in allen Bundesstaaten durchzusetzen, das Thema ist emotional besetzt. Dabei hat die Kohleindustrie mehr Symbolkraft als tatsächliche Bedeutung: Es gibt in den USA knapp 60.000 Kohlearbeiter, aber weit mehr als 200.000 Amerikaner sind in der Solarindustrie beschäftigt. Greentech hat auch in den USA Zukunft.

 

business: Sollen österreichische Unternehmen die USA noch als Hoffnungsmarkt sehen?

Veit: Ja, es lohnt sich. Vorausgesetzt, die österreichischen Unternehmen sind bereit, sich mit den US-Gegebenheiten und -Gepflogenheiten auseinanderzusetzen – und bevor sie sich auf das Abenteuer USA einlassen, ihre Hausaufgaben zu machen. Ich wiederhole, was mir viele österreichische Unternehmer mit Niederlassungen in den USA gesagt haben: Wenn man Fuß gefasst hat, läuft das Geschäft sehr gut. Mit österreichischem Know-how, gründlicher Ausbildung der Mitarbeiter, Lehrlingsinitiativen und guter Bezahlung ist man konkurrenzfähig. 

 

Interview: Stefan Schatz

Die USA als zweite Heimat

Hannelore Veit zählt zu den renommiertesten Journalistinnen Österreichs. Nach ihrem Studium in den USA arbeitete sie als Korrespondentin für das Wiener Büro von „Voice of America“. Einer breiten Öffentlichkeit wurde Veit als Moderatorin von Magazinen und der ZiB 1 im ORF bekannt. Von 2013 bis 2020 leitete Veit das Korrespondentenbüro des ORF in Washington. Heute ist die mit einem französischen Journalisten verheiratete Mutter zweier Kinder als Journalistin, Buchautorin, Medienberaterin und Producerin tätig.

Hannelore Veit