Anerkennung für das Lebenswerk

Bis zum Jahr 2027 stehen etwa 40.000 KMUs zur Übergabe an, landwirtschaftliche Betriebe nicht mitgezählt. 400.000 Jobs hängen von einer gelungenen Nachfolge ab und dafür sorgt das Raiffeisen Nachfolgeservice in Oberösterreich und in der Steiermark. Die Zwei-Personen-Bundesarbeitsgruppe mit Johann Mitterhuber und Hubert Stieninger erklärt, worauf es in dieser heiklen Phase ankommt.

Mitterhuber

Johann Mitterhuber

„Wichtig ist, eine Lösung zu finden, mit der alle zufrieden sind.“

Das Interview

Warum hat die Raiffeisenlandesbank Oberösterreich 2007 als Erster ein Service zur Begleitung von Betriebsübergaben gestartet?

Johann Mitterhuber: Eine repräsentative Befragung von 320 Unternehmern im Auftrag der RLB OÖ hat im Frühjahr 2007 ergeben, dass die Unternehmensnachfolge bei 54 Prozent der Befragten nicht geregelt war. Da offene Nachfolgethemen ein Risiko für die Bank sind, wollte die RLB OÖ gezielte Unterstützung bei Betriebsübergaben anbieten. Ich war damals Geschäftsleiter der Raiffeisenbank Wels, habe berufsbegleitend Weiterbildungen in Familientherapie, systemischer Beratung und Coaching gemacht und mich für Unternehmensnachfolgen und für den Aufbau des Nachfolgeservices interessiert. In der Steiermark gibt es das Service nun seit drei Jahren. Was waren hier die entscheidenden Gründe?

Hubert Stieninger: In der Steiermark werden jährlich 800 bis 1.000 Unternehmen übergeben, da sind land- und forstwirtschaftliche Betriebe nicht mitgezählt. Nach einem Kundenevent mit Johann Mitterhuber haben die Vorstände der RLB Steiermark gemeint, das könnten wir in der Steiermark auch gut brauchen. Ich war auch Geschäftsleiter einer Raiffeisenbank und habe bemerkt, dass Übergaben sehr sensible Phasen sind, die Unterstützung brauchen.
 

Wie gut wird das Service in der Steiermark angenommen? Und wie kommen die Kunden zu Ihnen?

Stieninger: Derzeit betreue ich an die 90 Übergaben, 20 Prozent davon sind Land- und Forstwirte. An die 80 wurden in den letzten Jahren schon erfolgreich abgeschlossen. Die derzeitige hohe Anzahl an betreuten Kunden liegt auch daran, dass wir die Dienstleistung anfänglich kostenlos angeboten haben, sie nun aber moderat bepreisen. Die Kunden kommen großteils auf Empfehlungen der Raiffeisenbanken. Wir arbeiten zu 95 Prozent für die Primärstufe. Die Firmenkundenbetreuer der Raiffeisenbanken wissen, wann ihre Kunden in die Übergabe gehen und denken das Thema mit. Wir raten ja, wenn der Kunde Mitte 50 ist, sich schon mit dem Thema zu beschäftigen. Andere Kunden kommen über Kundenempfehlungen.
 

Wie gut wird das Service in Oberösterreich in Anspruch genommen?

Mitterhuber: Das Service wird seit Beginn sehr gut nachgefragt. Den größten Teil der Kunden vermitteln auch mir die Raiffeisenbanken, außerdem bieten die Corporate- Betreuer der RLB OÖ den Service an und schließlich empfehlen zufriedene Nachfolgekunden den Service weiter. Ich habe in den letzten 12,5 Jahren Erfahrungen mit insgesamt über 600 Übergabesituationen – 130 davon landwirtschaftliche Übergaben – machen dürfen, davon sind 420 abgeschlossen, 180 Nachfolgeprozesse laufen in unterschiedlichen Phasen und in unterschiedlicher Betreuungsintensität. Heute Nachmittag habe ich bei einem Familienunternehmen das elfte Gespräch seit Mai.
 

Elf Termine sind eher eine Ausnahme, oder?

Mitterhuber: Elf Termine sind schon außergewöhnlich viel. Die Anzahl der Termine hängt wesentlich von der Größe der Familie ab. Ich beziehe immer die gesamte Familie ein, weil alle Familienmitglieder eine Verbindung zum Unternehmen oder zur Landwirtschaft haben und weil das im Sinne einer gleichwertigen Anerkennung und Wertschätzung aller Kinder wichtig ist. Das Vergessen oder Übergehen von Kindern kann eine Kränkung auslösen, die langfristig negative Folgen hat – für die Familie und ebenso für das Unternehmen.
 

Sind familieninterne Übergaben häufiger als externe?

Mitterhuber: In meiner Arbeit begleite ich zu 90 Prozent familieninterne Übergaben. Im österreichischen Durchschnitt erfolgen etwa 50 Prozent der Übergaben in der Familie und 50 Prozent außerhalb.
Stieninger: Bei mir spielen sich an die zwanzig Prozent der Übergaben außerhalb der Familie ab.
 

Wie können Sie nun zum Gelingen einer Übergabe beitragen?

Stieninger: Wir nehmen die Familie oder das Unternehmen an der Hand und begleiten sie durch den Prozess als externe Begleiter, Coaches, Mediatoren und Moderatoren. Im Wesentlichen sind wir neutrale Personen, die durch Gespräche und intensive Auseinandersetzung mit der Familie eine sehr starke Vertrauensposition aufbauen. Wir sind nicht diejenigen, die Lösungen hineinempfehlen, sondern diejenigen, die Lösungen sichtbar zu machen. Wir stellen keine Rezepte zur Verfügung, weil ohnedies jede Lösung für die Übergabe eine individuelle ist. Jede Übergabesituation ist anders. Wir helfen hauptsächlich, indem wir die Kommunikation der handelnden Personen fördern und fordern.

 

Wie glaubwürdig kommt die Rolle eines unabhängigen Bankmitarbeiters an?

Mitterhuber: Aus meiner Erfahrung ist meine Rolle noch nie skeptisch gesehen worden, obwohl auf meiner Visitenkarte RLB OÖ steht.
Stieninger: Im Erstgespräch – meist mit dem Übergeber stelle ich klar, dass diese Begleitung unabhängig von der Bank ist. Es gibt auch keinen Informationsaustausch zwischen Bank und uns. Private Anliegen, Sorgen und auch Wünsche erzählt man einer neutralen Person – zu der keine emotionale Bindung besteht – leichter als langjährigen Bekannten, Freunden oder Angehörigen. Daher versuchen wir auch, unsere Begleitung von der Funktion der Bank klar zu trennen und den Kunden das Gefühl zu vermitteln, seine familiären und persönlichen Themen werden bei uns ebenso vertraulich behandelt, wie die Bank ihre Daten vertraulich behandelt. Wir bearbeiten ja grundsätzlich voneinander unabhängige Themenbereiche.
 

Was sind denn die größten Herausforderungen für den Übergeber?

Mitterhuber: Ihnen ist wichtig, eine Lösung zu finden, mit der alle zufrieden sind.
Stieninger: Der größte Wunsch ist in vielen Fällen, dass ihr Lebenswerk nicht untergeht. Herausfordernd ist, Verantwortung loszulassen und Vertrauen in die nächste Generation zu haben. Das spricht sich leichter aus, als es in der Realität ist.
 

Sie teilen den Übergabeprozess in drei Phasen. Die erste Phase betrifft die persönliche und familiäre Ebene. Fällt diese Phase bei externen Übergaben weg?

Stieninger: Diese Phase ist auch bei familienexternen Übergaben sehr wichtig. Wenn ein Betrieb verkauft wird, verkauft ein Mensch mit seinen persönlichen Anliegen, Bedürfnissen und Zielen, und es kauft auch ein Mensch mit persönlichen Anliegen, Bedürfnissen und Zielen. Deshalb ist es auch in diesem Fall wichtig, dass man versucht, gegenseitiges Verständnis zu wecken. Und bei Unternehmensverkäufen bleiben auch Gespräche mit allen Familienangehörigen am Radar. Wenn das Lebenswerk der Eltern verkauft wird, berührt das alle Kinder und es gibt Erbschaftsthemen zu klären. Es kann also auch bei einem externen Verkauf in der Phase 1 sehr intensiv werden.
Mitterhuber: Oft ist der externe Übernehmer ein Mitarbeiter des Unternehmens. Das Herausfordernde dabei ist, dass der Mitarbeiter aus der langjährigen Loyalität zu seinem Chef heraustreten muss, seine Anliegen, Vorstellungen und Ziele für sich klärt und dann als Nachfolgeinteressent gegenüber seinem Chef vertritt. In derartigen Prozessen ist der Nachfolgecoach als neutrale Person zwischen dem verkaufsbereiten Unternehmer und dem kaufi nteressierten Mitarbeiter gefragt.
 

Die zweite Phase betrifft dann die harten Fakten. Haben Sie in dieser Phase noch eine Aufgabe?

Mitterhuber: Ich achte darauf, dass die in Phase 1 erarbeitete Nachfolgelösung von Fachberatern wie Notaren und Steuerberatern umgesetzt wird.
Stieninger: Wir sind sozusagen das Gewissen im Hintergrund und begleiten den Prozess bis zum Ende.
 

Kann Raiffeisen auch bei der Suche nach einem geeigneten Nachfolger helfen?

Stieninger: Die Notwendigkeit einer Plattform ist gar nicht so gegeben. Bei mir ist es selten, dass ein Unternehmen keinen Nachfolger hat, außer es scheitert am Preis oder an unterschiedlichen Zugängen. Wenn es um größere Firmen geht, also um ein, zwei Millionen aufwärts, haben wir auch die Möglichkeit, dass wir auch Finanzierungsunterstützung über eine Eigenkapitalbeteiligung holen können. In Oberösterreich geht das über Raiffeisen Invest Private Equity und bei uns über die RBI und Raiffeisen Continuum. Wir sind also in jede Richtung sehr gut organisiert und abgesichert, damit wir auf jeden Fall das Ziel erreichen, dass das Unternehmen weiter besteht.
 

Die Finanzierung ist die Phase 3, also auch die letzte Phase.

Stieninger: Wenn man weiß, wer sich als Käufer interessiert, spätestens in dem Moment muss man beginnen die Fühler auszustrecken – auch Richtung Finanzierung über die Bank.
 

Wie groß sind die Unternehmen, die Sie betreuen? 

Mitterhuber: Ich betreue Unternehmen aller Betriebsgrößen – von fünf bis weit über 500 Mitarbeiter.

Stieninger: Interessanterweise sind die Interessen, Sorgen und Bedürfnisse völlig unabhängig von der Betriebsgröße.
 

Werden Sie auch von Übernehmern hinzugezogen?

Mitterhuber: Ja, es gibt Situationen, in denen die Übernehmer aktiv werden, weil etwa über die Übergabe in der Familie nicht gesprochen wird und das den Übernehmer belastet.
Stieninger: Das größte Hindernis, ob eine Übergabe gelingt oder nicht, ist immer die Kommunikation. In Familien wird über heikle Dinge oft nicht geredet. Unsere Hauptmission ist, die Leute zum Reden zu bringen. Das Familiengespräch ist ein kraftvoller Akt und der Türöffner für alles, was danach passiert.
 

Was sind die häufigsten Gründe, wenn Übergaben scheitern?

Mitterhuber: Familieninterne Übergaben scheitern ganz selten aus materiellen Gründen, sondern aufgrund von tiefgründigen familiären Vorbelastungen, zwischenmenschlichen Hindernissen oder gravierenden Auffassungsunterschieden zwischen Übergebern und Nachfolgern.
 

Seit März bestimmt Corona weite Teile unseres Lebens. Hat Covid-19 auch Auswirkungen auf das Übergabeverhalten?

Stieninger: Wir haben im Lockdown sehr viel mit Kunden telefoniert und sehr viel Seelsorge betrieben. Corona verzögert keine Übergabe, aber Corona macht das Ganze komplexer und die Bedenken werden größer. Insbesondere, wenn es finanzielle Schwierigkeiten gibt oder Zukunftssorgen – sowohl bei den Jungen als auch bei den Übergebern. Aber grundsätzlich kenne ich keinen, der deswegen später in Pension geht.
 

Was hat die Bank vom Nachfolgeservice?

Mitterhuber: Mit diesem Service kann die Bank den Kunden überraschen, weil Raiffeisen Oberösterreich und Raiffeisen Steiermark damit ein Alleinstellungsmerkmal haben. Das Nachfolgecoaching spricht die Kunden nicht nur auf der sachlichen Ebene an, sondern umfasst viele persönliche, familiäre und emotionale Themen. Das ganzheitliche Erreichen des Kunden ermöglicht der Bank nach der Betriebs- oder Hofübergabe sehr oft einen Ausbau der Geschäftsbeziehung; Raiffeisen OÖ ist dadurch schon mehrfach von einer Nebenbank zur Hauptbank geworden.
Stieninger: Es bindet den Kunden stärker an Raiffeisen. Ich habe sogar Kunden in Betreuung, die gar nicht bei Raiffeisen waren, und jetzt schon Raiffeisen-Kunden geworden sind. Diese Dienstleistung ist ein Türöffner zu einer guten Kundenbeziehung. Wir geben den Kunden einen Gesamtüberblick und begleiten ihn operativ von Anfang bis zur Übergabe, das gibt es sonst nirgends.
 

Herr Mitterhuber, es ist Ihnen gelungen die Steiermark zu missionieren, haben Sie es auch bei anderen Landesbanken probiert?

Mitterhuber: Ich sehe mich nicht als Missionar, sondern begeistere mich einfach für das Thema Unternehmensnachfolge. Dass meine Begeisterung überspringt, erlebe ich auch bei Raiffeisen-Veranstaltungen außerhalb von Oberösterreich. In andere Bundesländer getragen wird das Nachfolgeservice künftig auch durch das vom Raiffeisen Campus angebotene Seminar „Unternehmensnachfolgen erfolgreich begleiten“, bei dem Herr Stieninger oder ich den ersten Tag gestalten. Leider mussten die beiden Seminare Corona-bedingt auf das Jahr 2021 verschoben werden. Ob zusätzliche Raiffeisenlandesbanken Ressourcen für Unternehmensnachfolgen bereitstellen, wird sich zeigen. Ich würde mich darüber freuen, weil ich aus meiner Erfahrung weiß, welch große Chancen das Nachfolgethema für das Firmenkundengeschäft bietet.

Quelle: Raiffeisen Zeitung/ Nr.47