09.06.2021 - Digitalisierung und nachhaltige Entwicklung

Florian Leregger, Geschäftsführer Institut für Umwelt, Friede und Entwicklung (IUFE) 

Smart city mit Internet der Dinge
©littlestocker - stock.adobe.com

Digitaler Wandel voll im Gange

Klar erkennbar ist, dass wir uns im digitalen Wandel mit all den Phänomenen neuer Technologien sowie der Automatisierung und Konnektivität befinden. Damit verbunden sind unweigerlich Chancen und Herausforderungen, denen wir als Gesellschaft begegnen (werden). Zu den Potentialen zählen in vielen Bereichen sicherlich die Förderung von Dematerialisierung, Reduktion von Treibhausgasen, Vermeidung von Luftschadstoffen oder Implementierung der Kreislaufwirtschaft. Im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung – also der Balance von sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Dimensionen im Einklang mit kulturellen und politisch-institutionellen Aspekten – braucht es meiner Meinung nach allerdings vermehrt Augenmerk auf ökologische Fragestellungen. Solche könnten beispielsweise, wie folgt, lauten – ohne wichtige Themen wie Datenschutz oder Umgang mit der digitalen Spaltung (digital divide) zu vergessen:

  • Inwiefern kann vermehrt erneuerbare Energie für den steigenden Energiebedarf von Rechenzentren bereitgestellt werden?
  • Wie ist der digitale Wandel möglichst klima- und umweltverträglich zu gestalten  und welche politischen Rahmenbedingungen braucht es dafür?
  • Welche Möglichkeiten der digitalen (Energie-)Reduktion gibt es bei unserem individuellen Konsum- und Mobilitätsverhalten tagtäglich?
  • Wie sind beim Einsatz digitaler Technologien Rebound-Effekte zu vermeiden?  
     

Home Office, Home Schooling und Videostreaming

Der deutsche Transformationsforscher Tilman Santarius (TU Berlin + Institut für ökologische Wirtschaftsforschung) erläutert im Interview für Die Zeit aktuelle Zahlen, über die es (zumindest) nachzudenken gilt. So gibt er an, "dass ein zusätzlicher Homeoffice-Tag in Deutschland 1,6 Millionen Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr einsparen könnte". Zudem führt er vor dem Hintergrund der Coronavirus-Pandemie auf die Frage nach dem Energiebedarf im Home Schooling aus: "Für eine Schulstunde mit rund zwanzig Kindern benötigt man unter den gleichen Bedingungen ungefähr 0,7 Kilowattstunden Strom, selbst wenn alle ihre Kamera die ganze Zeit über anlassen. Dadurch entstehen knapp 260 Gramm CO2-Emissionen – das ist ungefähr so viel wie eine Einkilometerfahrt mit einem Luxusauto. Schaltet man die Kamera aber aus, spart man als Teilnehmer einer Videokonferenz mehr als 90 Prozent des Stromverbrauchs." Angesprochen auf die CO2-Emissionen durch Videostreaming führt Santarius aus: "Das Borderstep Institut hat das im vergangenen Jahr einmal an mehreren Beispielen durchgerechnet. Ein Ergebnis: Eine Stunde Videostreaming in Full HD aufs Smartphone verursacht rund 100 Gramm CO2. Wer das gleiche Video in 8K-Qualität auf einem 65-Zoll-Bildschirm anschaut, setzt dadurch 880 Gramm CO2 frei (…) Und man darf nicht vergessen, dass Videostreamings schon jetzt 60 bis 70 Prozent der globalen Datenströme ausmachen." Neben diesen Zahlen gibt er auch zahlreiche Handlungsoptionen, um möglichst klima- und umweltverträglich agieren zu können.
 

Treibhausgase bei der Produktion von digitalen Endgeräten

Jens Gröger vom deutschen Öko-Institut beschäftigt sich mit Aspekten der nachhaltigen Digitalisierung. Er führt einige spannende Beispielrechnungen durch, wiewohl er dabei auf Unsicherheiten aufgrund des rasanten technologischen Fortschritts oder aber der Rahmenbedingungen wie die Art der Stromerzeugung hinweist. Die Produktion digitaler Endgeräte geht mit teils hohen Treibhausgasemissionen einher. Denken wir beispielsweise an "Prozesschemikalien zur Rohstoffgewinnung und Verarbeitung sowie durch den Energieaufwand zur Halbleiterfertigung". Gröger gibt Treibhausgasemissionen bei der Herstellung (bezogen auf 1 Jahr Nutzungsdauer) wie folgt an:

  • Fernseher: 200 kg CO2e pro Jahr
  • Laptop: 63 kg CO2e pro Jahr
  • Smartphone: 50 kg CO2e pro Jahr
  • Sprachassistent: 33 kg CO2e pro Jahr
     

Treibhausgase bei der Nutzung von digitalen Endgeräten

Auch in der Nutzungsphase von Laptops, TV-Geräten oder Smartphones fallen erhebliche Mengen an CO2-Emissionen an. Denn sie benötigen elektrische Energie. Jens Gröger gibt die Treibhausgasemissionen in der Nutzungsphase (je nach durchschnittlichem Nutzer/in-Verhalten in Deutschland) wie folgt an:

  • Fernseher: 156 kg CO2e pro Jahr
  • Laptop: 25 kg CO2e pro Jahr
  • Smartphone: 4 kg CO2e pro Jahr
  • Sprachassistent: 4 kg CO2e pro Jahr
     

Treibhausgase bei Datenübertragung und in Rechenzentren

Durch die ständige Datenübertragung über das Internet haben digitale Endgeräte einen oftmals versteckten ökologischen Fußabdruck aufgrund des Energieverbrauchs im Internet. Er ist nicht auf der persönlichen Stromrechnung ersichtlich, sondern fällt zum Beispiel bei Streaming-Dienstleister oder Internetanbietern an. Basierend auf profunden Abschätzungen gibt Jens Gröger folgende Treibhausgasemissionen in Datennetzwerken an:

  • 4 Stunden Videostreaming pro Tag: 62 kg CO2e pro Jahr
  • 10 Fotos für soziale Netzwerke pro Tag: 1 kg CO2e pro Jahr
  • 2 Stunden Sprachassistent pro Tag: 2 kg CO2e pro Jahr
  • 1 Gigabyte Backup pro Tag: 11 kg CO2e pro Jahr

Die Rechenzentren, in denen energieintensive Server, Datenspeicher sowie Netzwerk- und Klimatisierungstechnik zu finden sind, verbrauchen erhebliche Mengen an elektrischer Energie. "Der elektrische Energieverbrauch in deutschen Rechenzentren betrug im Jahr 2017 rund 13 Milliarden Kilowattstunden. Bezieht man diesen Energieverbrauch auf die 33 Millionen Internet-Nutzerinnen und -nutzer, die die Bundesnetzagentur für das Jahr 2017 nennt, so entfallen auf jeden Internet-Anschluss knapp 400 Kilowattstunden elektrische Energie beziehungsweise 213 Kilogramm CO2-Emissionen pro Jahr".
 

Fachtagung "Digitalisierung & Entwicklung"

Im Mai 2021 startete die IUFE-Fachtagung "Digitalisierung & Entwicklung: Unsere Welt im 21. Jahrhundert". Informative Podcast-Hörsendungen mit acht Expertinnen und Experten sowie ein Marktplatz mit neun themenrelevanten Projekten und weitere Informationsangebote bieten eine spannende digitale Reise zu Themen wie etwa Bildung, Klima, Energie, Rohstoffe, Konsum, Wirtschaft, Arbeit und Entwicklungszusammenarbeit im Kontext des digitalen Wandels. Auch die 17 Sustainable Development Goals (SDGs) spielen eine zentrale Rolle (Details: hier). Zu Wort kommen in den Interviews Fred Luks (Ökonom und Publizist), Klaus Himpsl-Gutermann (Pädagogische Hochschule Wien, Zentrum für Lerntechnologie und Innovation), Eva Mader (PwC Digital Consulting, Österreich), Reinhard Herok (Fachhochschule Wiener Neustadt), Felix Forster (respACT - austrian business council for sustainable development), Henriette Gupfinger (kiwi sustainable solutions e.U. und Fachhochschule Wiener Neustadt), Lukas Wank (Forscher und Think Tank "Shabka") und Werner Raza (ÖFSE - Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung). Neben den unterschiedlichen beruflichen Hintergründen, Themenschwerpunkten und Perspektiven vereint die Expertinnen und Experten eine zentrale Botschaft: Digitalisierung soll verstärkt als Instrument für nachhaltige Entwicklung dienen!

 

Weiterführende Informationen

 

Autor: Florian Leregger, Geschäftsführer Institut für Umwelt, Friede und Entwicklung (IUFE)